Der Wind pfeift, es ist dunkel und knapp über dem Gefrierpunkt. Um 4:45 Uhr morgens sind wir in einem Konvoi von Audi Q7 die die legendäre Pikes-Peak-Bergstraße in Colorado hinaufgefahren. Die Scheinwerfer beleuchten den Nebel, der den Berg verhüllt. Erst als wir uns dem Gipfel nähern, der mehr als 4300 Meter hoch über der Stadt Colorado Springs thront, erscheinen die ersten Streifen der Morgendämmerung über uns.

Wir sind nach Colorado gekommen, um zum ersten Mal den vollelektrischen Audi e-tron zu erleben. Die Marke legt besonderen Wert auf das Brems- und Rekuperations-System, und für die entsprechenden Tests ist die Abfahrt vom Pikes Peak prädestiniert.

Jetzt aber bin ich zunächst einmal glücklich, eine Jacke eingepackt zu haben; während der Auffahrt auf dem Gipfel sind die Temperaturen weit unter den Gefrierpunkt gefallen. Als die Wolken langsam verschwinden und die Sonne als kleine rote Scheibe am Horizont erscheint, trifft ein kleines Rudel an Audi e-tron ein.

Der Audi e-tron wurde als Studie und Prototyp schon mehrfach gezeigt, so dass ich mit der Form durchaus vertraut bin. Es ist irgendwo zwischen dem Q5 und dem Q7 angesiedelt, aber der Auftritt erinnert eher an einen A6 Allroad als die SUV-Modelle. Die abfallende Dachlinie schafft eine sportliche Linie.

Im Interieur ähnelt der e-tron dem neue A6, A7 und A8 – allerdings mit wichtigen Unterschieden. Es gibt überall Touch-Screen-Bildschirme, einschließlich der Klimasteuerung im Fond. Die neue Audi-Innenarchitektur wirkt sehr schlank und scharf, und obwohl ich eigentlich kein Fan von Touch-Screens bin, funktioniert die haptische Rückmeldung sehr gut.

Dank der speziell angepaßten elektrischen Plattform ist der Fahrzeugboden sehr flach und bietet viel Platz für Passagiere und Gepäck. Die hinteren Passagiere sitzen etwas höher als der Fahrer; das gibt noch mehr Übersicht gibt, ohne dass ein 190-cm-Mann über zu wenig Kopfraum klagen müßte. Unter der Fronthaube befindet sich übrigens ein kleines Fach, in das eine kleine Tasche oder das Ladekabel paßt.

Die Stromversorgung erfolgt über zwei Elektromotoren; an der Vorderachse sitzt ein Motor mit 125 kW und 247 Nm Drehmoment; das Aggregat an der Hinterachse liefert 140 kW und 314 Nm Drehmoment. Ein spezieller S-Modus ermöglicht die temporäre Erhöhung der Systemleistung auf 300 kW und 664 Nm Drehmoment. Das genügt für einen Sprint von 0-100 km/h in unter 6 Sekunden.

Die Fähigkeit des e-tron, während eines normalen Fahrzyklus Energie aufzuladen bzw. wiederzugewinnen, spielt eine wichtige Rolle für seine mehr als 400 Kilometer Reichweite im WLTP-Zyklus. Und die Testfahrten am Pikes Peak mit einem Vorserienprototyp, gemeinsam mit dem Leiter der Bremsenentwicklung, dienen dazu, die Fähigkeiten des Autos zu erfahren und zu spüren, wie der e-tron seine Reichweite maximieren kann.

Eine legendäre Piste

Die 31 Kilometer lange Pikes-Peak-Straße – mehr als 150 Kurven und mehr als 2000 Meter Höhenunterschied – hat durch das jährliche Hillclimb-Rennen, das übrigens heuer von Volkswagen mit einer vollelektrischen Rennwagen-Studie gewonnen wurde, Weltruhm erlangt. Gleichzeitig wurde ein neuer Weltrekord aufgestellt.

Als reines Elektroauto verfügt der e-tron über kein normales Getriebe. Dafür befinden sich hinter dem Lenkrad sich zwei Paddel. Sie bieten schnellen Zugriff auf drei verschiedene Fahrprofile: Man kann wie mit Freilauf ohne Widerstand rollen; die Rekuperation ist begrenzt, auch beim Bremsen. Im zweiten Profil wird das Auto beim Gaswegnehmen zurückhaltend abgebremst, um so viel Energie wie möglich zu regenerieren. Im dritten Profil wird beim „Gaswegnehmen“ stark verzögert – bis zu 0,3 g und 300 Nm Bremsleistung. Damit ist ein Ein-Pedal-Fahren möglich, es muß kaum separat gebremst werden. Der e-tron geht zurück bis auf null. Diese Funktion könnte unsere gewohnte Fahrweise grundlegend verändern.

Das letztgenannte Profil ermöglicht es uns, den Berg hinunterzufahren, ohne dass wir in Kurven eigens abbremsen müßten. Gleichzeitig erleben wir, wie die Batterieladung deutlich ansteigt. Sobald das Bremspedal über eine definierte Schwelle hinaus gedrückt wird, werden automatisch die regulären Bremsen aktiviert. Andere Elektroautos verwenden eine ähnliche Technologie, aber Audi will das bisher effizienteste System geschaffen haben.

Neben der manuellen Auswahl des Fahr- und Effizienzprofils gibt es auch einen automatischen Modus, der Navigationsdaten berücksichtigt, um die Geschwindigkeit und den Grad der Rekuperation anzupassen. In der Serie wird eine Reihe von Assistenzsystemen zur Verfügung stehen, darunter Tempomat, Spurassistent und mein persönlicher Favorit: zwei digitale Spiegel. Die Außenspiegel werden durch schlanke Kameras an der Außenseite und zwei Bildschirme an der Türinnenseite ersetzt. Die digitalen Rückspiegel sind nicht in allen Ländern lieferbar.

Mit Elektromotoren an der Vorder- oder Hinterachse legt der e-tron eine neue Interpretation eines quattro-Systems vor. Das Abbremsen der inneren Räder in der Kurve bietet eine Art Torque-Vectoring. Nahezu 100 Prozent des Drehmoments stehen sofort zur Verfügung; sie verleihen dem e-tron einen geradezu explosiven Charakter aus dem Stand heraus. Bei höheren Geschwindigkeiten wird es offensichtlich einen Kompromiß zwischen Geschwindigkeit und Reichweite geben: Besser langsam ankommen als forsch liegenblieben.

Der Audi e-tron ist eine sehr willkommene Ergänzung im Segment der Elektroautos. Das coole, aber nicht zu expressive Design korrespondiert mit einem innovativen und luxuriösen Interieur. Während die Tesla-Modelle unfertig wirken, paßt beim e-tron alles: Es dürfte sich um einen exzellenten Alltags- und Reisewagen handeln. Bleibt abzuwarten, wie weit wir kommen, wenn es nicht nur – wie beim Pikes Peak – bergab geht.


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QuelleAudi
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