BMW lädt zur Mitfahrt im Versuchsträger „Vision Driving Experience“: Grund genug, sich Gedanken zu machen über die Neue Klasse. Denn der Prototyp ist der jüngste Meilenstein einer Fahrzeugfamilie, die nach mehreren Jahren im Concept- und Prototypen-Stadium nunmehr kurz vor der Serieneinführung steht.
BMW sagt: Es geht bei dieser Mitfahrt vorrangig um die Demonstration der überragenden Leistung und Querdynamik von Elektromotoren, die von einem superschnellen Steuergerät kontrolliert werden. Doch obwohl die Bayern den Serienbezug verneinen, liefert der Versuchsträger spannende Einblicke in das Raum- und Bedienkonzept der Neuen Klasse. Denn er verfügt unter anderem über das neue Cockpit, mit dem BMW die Interaktion zwischen Fahrer und Auto auf eine neue Ebene heben will.

Bewegen wir uns zunächst von außen auf das Fahrzeug zu: Kompakt, puristisch, reduziert, noch immer nahe am ersten Prototypen, der vor zwei Jahren auf der CES in Las Vegas präsentiert worden war. Auffällig: Die aggressiv nach vorn geneigte Frontpartie, die horizontal geprägten Front- und Heckleuchten. Das erinnert nicht ganz zufällig an den BMW 2000, die Spitzenversion der 1961 vorgestellten ursprünglichen Neuen Klasse, die BMW damals vor dem Absturz rettete.
Seit 2023 nutzt BMW die Bezeichnung Neue Klasse für das neue Modell, die Serienausführung dürfte allerdings auf eine andere Modellbezeichnung hören: Sie wird wahrscheinlich als i3 auf den Markt kommen, und es wird auf der gleichen technischen Basis auch einen neuen BMW 3er mit thermischen Verbrennungsmotoren geben. Inwieweit sich die elektrischen und klassisch angetriebenen Modelle stilistisch unterscheiden, bleibt derzeit noch offen.

Der Prototyp, in den wir jetzt einsteigen, wirkt extrem sportlich, wie ein elektrischer M3 der nächsten Generation: Riesige vordere Lufteinlässe und ein gigantischer Diffusor am Heck unterstreichen den Anspruch ebenso wie die als Abrißkante ausgeprägten Heckleuchten und die Michelin-Pilot-Sportreifen der Dimension 325/30 ZR 21.
Steigen wir ein: Es sind Schalensitze mit Vierpunkt-Gurten aus dem Hause Schroth verbaut, Mittelkonsole und Türverkleidungen sind aus Sichtkarbon gefertigt, der Himmel ist mit Alcantara ausgeschlagen: Das alles ist noch relativ serienfern. Doch das Cockpit gibt bereits deutlichen Aufschluss auf die kommende Serienversion.

Und sie markiert einen radikalen Schnitt: Das kleine Lenkrad ist tief angeordnet, stilistisch durch Vertikalspeichen geprägt, die am Lenkradinneren angeordneten Bedieninseln suggerieren einen Vierspeichen-Look. Man schaut nicht mehr durch dieses Lenkrad hindurch, sondern darüber hinweg, ähnlich wie bei aktuellen Modellen aus dem Hause Peugeot.
An der Unterkante der Windschutzscheibe erstreckt sich eine horizontale Leiste mit Fahrinformationen, darüber wird es in der Serie ein großes Head-Up-Display geben. Der Zentralbildschirm ist als Parallelogramm mit abgeschrägten Kanten ausgeführt: Eine aktuelle Interpretation der Fahrerorientierung, welche seit 1972 die Cockpits aller neu eingeführten BMW-Typen mehr oder weniger stark prägt.

Zeit, die Motoren zu starten. Ich nehme als Copilot Platz, noch dürfen wir nicht selber fahren. BMW hält sich zu den Leistungsdaten weitgehend bedeckt; wir gehen davon aus, daß dieser Versuchsträger zwischen 1100 und 1300 PS leistet. Rätselraten beim Drehmoment: BMW spricht von 18.000 Nm, aber dabei handelt es sich um den Meßwert an den Rädern. Eine sinnlose Angabe, und da wir die Übersetzung (es gibt übrigens nur einen Vorwärtsgang) nicht kennen, können wir über das Motordrehmoment nur spekulieren: Vielleicht 1500 bis 2000 Nm?
Oder man drückt es vornehm aus, wie einst die BMW-Tochter Rolls-Royce: „genügend“. Denn wenn unser Testpilot beherzt aufs Fahrpedal drückt, prescht der kompakte Viertürer mit schier unglaublicher Vehemenz los, legt derart Gummi auf den Asphalt, daß sich der Feinstaub-Ausstoß eines rußenden 524d dagegen eher bescheiden ausnehmen dürfte.

Die einstellbare Rekuperation ist geradezu brutal, und auf dem abgesteckten Rundkurs lässt sich das Auto blitzschnell in einen präzise kontrollierten Drift bringen. Die Ansteuerung der Elektromotoren läuft so exakt, dass Verbrenner hier nicht mehr mitkommen werden – obwohl BMW bei den klassisch motorisierten M-Modellen bereits sauber abgestimmte Drift-Programme bereithält.
Das Chassis ist als Monocoque aus Kohlefaser-Verbundstoff ausgelegt, stolze fünf elektrisch angetriebene Propeller erzeugen bei Bedarf richtig Abtrieb. Ob es diese Komponenten in die Serie schaffen, ist offen.
Eine Mitfahrt also mit überaus intensiven Eindrücken, die unterstreicht: BMW baut nicht nur einige der besten Verbrenner, sondern wird auch bei den elektrischen Performance-Fahrzeugen eine Führungsrolle einnehmen. Zurück zur Neuen Klasse: Die kommt zunächst als SUV. Aber wir freuen uns vor allem auf die kommende Limousine.

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