Er gehört zu den eher unterschätzten Sportwagen auf dem Markt. Der Mercedes-Benz SL, eine Roadster-Ikone und einst omnipräsent an den Treffpunkten des globalen Jet-Set, hat an Glanz verloren. Verantwortlich dafür war nicht nur die erstarkte Konkurrenz, sondern auch das misslungene Design der 2012 vorgestellten Modellgeneration. Doch im vergangenen Jahr haben die Stuttgarter den Zweisitzer gründlich renoviert. Leider beschränkten sich die stilistischen Änderungen dabei auf die Frontpartie. Doch wenn sich Daimler auch das Heck vorgenommen hätte, wären die Schwaben kaum um Eingriffe an Dach und Seitenwand herumgekommen. Das hätte ein komplett neues Auto bedeutet.

Die Eingriffe am Interieur blieben auf ein Minimum beschränkt, es gab hier jedoch auch wenig Grund zur Beschwerde. Neue Skalen für die Instrumente und eine neue Einfassung für den Infotainment-Bildschirm akzentuieren das nach wie vor frisch und modern wirkende Ambiente. Und das Platzangebot kann sich sehen lassen: Die Fahrgastzelle wirkt luftig und geräumig; hinter den Vordersitzen ist Platz, um reichlich Utensilien unterzubringen, und es gibt in diesem für Amerika so wichtigen Auto auch mehr als genügend Cupholder.

Vier Varianten stehen zur Auswahl: Der SL 400 mit seinem Dreiliter-V6-Biturbo liefert stolze 367 PS, und er ist an eine blitzschnell schaltende Neun-Gang-Automatik gekoppelt. Darüber rangiert der SL 500 mit 4,7-Liter-V8-Biturbo und 455 PS. Sportlichstes Modell ist der AMG SL 63 mit dem 585 PS starkem 5,5-Liter-V8-Biturbo. Den oberen Prestige-Abschluss der Palette bildet der SL 65 AMG, dessen Motorraum vom einem 6,0-Liter-V12-Biturbo mit 630 PS nahezu vollständig ausgefüllt wird.

Am Steuer glänzt jede der Varianten mit eigenständigem Charakter. Der SL 400 klingt heller als die großvolumigen V8-Motoren, und die Beschleunigungswerte – der Sprint von 0 auf 100 km/h dauert bloß 4,9 Sekunden – sind für sich betrachtet sehr gut. Es fehlt ihm jedoch die brutale Kraft der Schwestermodelle. Dafür entschädigt er mit besonders leichtfüßigem Einlenkverhalten. Hier lastet eben spürbar weniger Gewicht auf der Vorderachse. Wir sind den “kleinen” SL mit der optionalen Kurvenneigesystem gefahren, das ihn – wie ein Motorrad – um bis zu 2,65 Grad in die Kurve legt.

Der willkommene Effekt könnte für unseren Geschmack durchaus noch ausgeprägter sein, und er ist unverständlicherweise als Komfortfunktion definiert. Doch Schaltstrategie und Klangbild im Comfort- bzw. dem ansonsten identischen “Curve”-Modus passen eigentlich nur zu gemütlichem Bummeln. Wer den SL mittels Sport- oder Sport-Plus-Modus anschärft, muss auf die Kurvenneigefunktion verzichten.

Die großen Motoren lohnen sich

Der SL 500 begeistert mit dunklem Baß und fülligem Drehmoment über alle Drehzahlbereiche hinweg, und er tritt dezenter auf als der AMG SL 63, der alles nochmals besser kann – und dies auch optisch und akustisch lautstark zur Kenntnis gibt. Dieses AMG-Modell mit V8-Motor ist nicht nur ein auffälliger Boulevard-Cruiser, er ist auch ein wettbewerbsfähiger Sportwagen, bei dem durchgängiger Leichtbau und eine agile Fahrwerksabstimmung mit einem sehr starken Triebwerk harmonieren. Die Kurvengeschwindigkeiten sind hoch, und die Abstimmung dürfte manchem Sportwagenfahrer besser gefallen als die extrem spitze Charakteristik des Markenkollegen AMG GT. Als einziger SL tritt der AMG SL 63 mit einer extrem schnell schaltenden Sieben-Gang-Automatik an, bei der eine Nasskupplung den Drehmomentwandler ersetzt.

Der Schritt zum AMG SL 65 bringt nochmals mehr Längsdynamik bei leichten Einbußen in der Querdynamik; insgesamt gelingt es dem stärksten SL jedoch erstaunlich gut, den auf der Vorderachse lastenden V12-Biturbo zu kaschieren. Und das akustische Erlebnis ist unübertroffen: Wie mit einem Peitschenschlag erwacht die Sechs-Liter-Maschine, um sodann in ein höchst aggressives Grollen zu verfallen. Beim Gasgeben glaubt man, das Feuer in den zwölf Brennräumen toben zu hören.

Zwölfzylinder-Piloten müssen auf das Sportgetriebe des AMG SL 63 verzichten; mit dem schier unglaublichen Drehmoment von 1000 Newtonmetern, auf einem Plateau von 2300 bis 4300 Touren anliegen, kommt nur der klassische Sieben-Gang-Wandlerautomat klar. Beide AMG-Modelle sind mit einem mechanischen Sperrdifferential ausgerüstet, das sich für gelegentliche Drifteinlagen besonders eignet. Die “Komfortfunktion” Curve gibt es bei AMG nicht.

Mit einer auf den neuesten Stand gehobenen Telematik-Architektur und vielen Komfort-Funktionen ist der SL ein hervorragendes Alltagsauto. Das Verdeck lässt sich auch in Fahrt schließen, und der Kofferraum ist leichter zu beladen als bisher. Der Fahrspaß muss beim SL traditionell nicht mit Askese erkauft werden.

Billig ist das Vergnügen allerdings nicht: Schon der SL 400 kostet 99 341 Euro, der SL 500 steht für 123 141 Euro in der Preisliste, und der AMG SL 63 liegt bei 161 959 Euro. Für das Spitzenmodell AMG SL 65 wechseln stolze 240 202 Euro den Besitzer. Einen regulären Zwölfzylinder wie den früheren SL 600 gibt es übrigens schon seit dem Modellwechsel 2012 nicht mehr. Die Nachfrage nach einem solchen Modell tendiere gegen Null, heißt es in Stuttgart. Wer sich die Spitze des Motorenbaus gönnt, möchte dies auch unmissverständlich kommunizieren.


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