Es kommt selten vor, dass ein Autohersteller tiefe Einblicke in den Designprozess gewährt; das Mercedes-Benz E-Klasse Coupé stellt eine Ausnahme dar. Normalerweise werden kurz vor der Vorstellung des fertigen Produktes noch einige Skizzen fertiggestellt, die sich zwar durch überzogene Proportionen auszeichnen, in den Detaillösungen aber eng am Serienfahrzeug liegen. Sie werden gern als “Erste Skizzen” deklariert und sehen ungefähr so aus:

Final Rendering E-Klasse Coupé

Bei diesem Bild, das den offiziellen Pressematerialien beigefügt ist, liegen praktisch alle Details nahe am Serienmodell des Mercedes-Benz E-Klasse Coupé, einschließlich der Innengraphik der Rückleuchten. Zum Vergleich das Serienauto (mit AMG-Paket, was die wenigen Unterschiede erklärt):

Mercedes-Benz E-Klasse Coupé

Doch das E-Klasse Coupé hätte auch anders aussehen können. Und diese Einblicke verdanken wir einem jüngst durchgeführten Design-Workshop in Sindelfingen, in dem der Designprozess anschaulich dargestellt wurde – und die konkurrierenden Ansätze anhand von Skizzen und Modellen gezeigt wurden.

Hier eine Übersicht verschiedener Ideen aus der Frühphase des Projekts, wobei die beiden Skizzen links eine in die C-Säule greifende Heckscheibe zeigen, inspiriert vom S-Klasse Coupé der Baureihe W111, vielleicht auch vom SLR McLaren. Unten rechts fallen die unterschiedlichen Rückleuchten auf; auch eine Variante mit durchgehendem Leuchtenband wurde erwogen.

Skizzen E-Klasse Coupé

Die nachfolgende Skizze ähnelt der 3/4-Heckansicht auf dem obigen Bild links, hier jedoch ist verläuft Heckscheibe parallel zum hinteren Seitenfenster und greift nicht mehr in die Seitenpartie um. Die hintere Schulter ist etwas zurückgenommen, insgesamt ähnelt diese Variante dem AMG GT:

Skizzen Mercedes-Benz E-Klasse Coupé

Nachfolgend zwei radikale Entwürfe, denen man eine gewisse Nähe zum Jaguar F-Type nicht absprechen kann. Hier könnte man sich mit etwas Phantasie auch eine seitlich öffnende Heckscheibe vorstellen, obwohl in den Skizzen eine Fuge angedeutet wird:

Skizzen Mercedes-Benz E-Klasse Coupé

Unten ein sportwagenähnlicher Entwurf mit kurzem Heck und stark betonter hinterer Schulter; die beiden unteren Skizzen sind vermutlich entstanden, als das finale Design bereits feststand:

Skizzen Mercedes-Benz E-Klasse Coupé

Mit den 1:4-Modellen erreicht die Visualisierung die nächste Stufe. Die drei hintereinander aufgestellten Modelle zeigen vor allem die Evolution in der Seitenpartie, die letztlich zum sehr reduzierten Serienfahrzeug führte. In der Frontpartie gibt es bei diesen Modellen kaum noch Varianz.

Designmodell Mercedes-Benz E-Klasse Coupé

Das vordere Modell präsentiert sich noch mit einer ausgeprägten oberen Sicke und liegt damit nahe am C-Klasse Coupé. Die hinten leicht ansteigende Fensterpartie (Designer sprechen vom DLO, dem “Daylight opening”) erinnert ebenfalls an das kompaktere Schwestermodell:

Skizzen Mercedes-Benz E-Klasse Coupé

In der nächsten Phase sind die Radien abgerundet, die scharfe Sicke ist sanfter geworden. Doch sie läuft nicht in einer Linie durch; über den hinteren Radhäusern spannt sich ein zweiter Muskel. Eher eine Spielerei ist der dekorative Luftauslass hinter der Vorderachse.

Skizzen Mercedes-Benz E-Klasse Coupé

In der dritten Phase zieht die abgerundete Lichtkante in einer Linie nach hinten durch, gemäß der Vorgabe von Chefdesigner Gorden Wagener, die Zahl der Linien so weit wie möglich zu reduzieren. Das DLO entspricht noch nicht dem Serienstand, ebensowenig wie das Heck:

Skizzen Mercedes-Benz E-Klasse Coupé

Hier erklärt Exterieur-Designer Achim Badstübner die Evolution der Modelle. Gut sichtbar sind die unterschiedlichen Heckpartien; das vordere Modell zeigt eine horizontal durchgehende Rückleuchte, bei der mittleren Variante sind die Rückleuchten fast oval – ein sehr klassisches Motiv:

Achim Badstübner am Designmodell Mercedes-Benz E-Klasse Coupé

Das dritte Modell, bei dem die Flanken bereits das finale Motiv darstellen, verfügt noch über eine Heckpartie, die ungewöhnlich tief angesetzt ist und der es ingesamt an Spannung fehlt:

Designmodell Mercedes-Benz E-Klasse Coupé

In der finalen Phase werden 1:1-Modelle gebaut und mit Folie bespannt; hier können die Designer kleinste Details prüfen und die Lichtbrechung testen, bevor die Produktionswerkzeuge bestellt werden.

Das Endprodukt unterscheidet sich dann nur noch in Nuancen; hier der Autor mit dem E220d Coupé bei der Presse-Präsentation in Katalonien.

Mercedes-Benz E220d Coupé

Und was geschieht mit den Ideen, die während der Entwicklungsphase generiert wurden? Dazu gibt es keinen wirklichen Prozess, sagt ein Designer: “Bei jedem neuen Modell fangen wir eigentlich wieder von vorne an.”


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