Deckel auf, noch weit vor dem kalendarischen Frühjahrsanfang, das ist zwischen Sylt und Garmisch-Partenkirchen undenkbar. Hier bleibt das Dach zu, bis die ersten ernsthaften Sonnenstrahlen für milde Temperaturen von rund 15 Grad plus sorgen. In Portugal, zwischen Lissabon und Cascais, ist dies um jene Jahreszeit allerdings überhaupt kein Thema, die Sonne lacht und das Oben-ohne-Vergnügen kann sofort beginnen. Und deshalb sind wir auch hier.

Vergnügen ist schon einmal das richtige Stichwort, denn unter der gefühlt ewig langen Motorhaube des zu testenden Spider werkelt einer der letzten Zwölfzylinder. In V-Form gefertigt, ganz ohne Zwangsbeatmung à la Turbo oder Kompressor, leistet dieser 6,5-Liter-Mega-Motor beeindruckende 830 PS. Und das bei einer Drehzahl von – man höre und staune – 9250 Umdrehungen.
Und das ist noch nicht einmal die Obergrenze: Erst bei 9500 U/min ist endgültig Schluss mit dem brachialen Vortrieb. In unter drei Sekunden, genau sind es 2,95 Sekunden, beschleunigt der 4,73 Meter lange Super-Sportler beim Ampelstart auf Tempo 100; nach 8,2 Sekunden sind 200 km/h erreicht; die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 340 Stundenkilometern.

Auch die Bremse überzeugt: Mit einem beherzten Tritt bei 100 km/h auf die elektrische Brake-by-Wire-Bremse aus dem Hause Bosch stehen wir nach nur 31,4 Metern wieder still.
Schon die Beschleunigung sorgt für wohlige Ganzkörper-Gänsehaut, aber der Sound, der aus dem Parallelogramm der vier Endrohre ertönt, ist so infernalisch und genial, dass er nur noch süchtig macht nach dem neuesten Cavallino Rampante. (Eine kleine Kostprobe gibt es hier: https://tinyurl.com/3cbbcvhs) Und: Es ist lobenswert, dass die Ingenieure aus Maranello hier auf einen Hybridantrieb verzichtet haben, den andere Sportwagenhersteller ihren Kunden unverhohlen aufnötigen.

Aber nicht nur die Ohren, auch die Augen werden ergötzlich verwöhnt. Die Außenhaut, eine Aluminium-Spaceframe-Struktur, sieht aus, als hätten sich die großen legendären italienischen Designer Battista „Pinin“ Farina, Giorgio Giugiaro und Giuseppe Bertone zusammengetan, um etwas ganz besonderes zu kreieren. Dabei waren es nur der aktuelle Ferrari-Chef-Designer Flavio Manzoni und sein Team, welche diesen unwiderstehlichen Augenschmaus auf vier Räder gestellt haben. Ein zartes Muskelspiel an den hinteren Kotflügel und die gewaltigen Luftauslässe auf der Motorhaube; die Götter der Sinnlichkeit müssen der Manzoni-Mannschaft den Bleistift geführt haben.
Wobei es ein historisches Vorbild beim Frontdesign gibt: Der Klassiker namens GTB/4 Daytona, präsentiert Ende der 1960er-Jahre, ist die würdige Inspiration.

Wir starten den Sauger-Front-Mittelmotor mit dem Zeigefinger auf dem Sensorfeld im Lenkrad, unterhalb des schwarz-gelben Ferrari-Hupenknopfs. Es brodelt und blubbert und wummert hinten dermaßen, ein Kaltstart halt, dass es schon wieder kribbelt, von der Kopfhaut bis zu den Zehenspitzen. Und jetzt endlich Deckel auf: In 14 Sekunden verschwindet das zweiteilige Hardtop hinter den Sitzen, dies funktioniert übrigens bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h.
Die rechte Hand zieht das rechte Lenkrad-Paddel und der erste von acht Gängen des Doppelkupplungsgetriebes ist eingelegt. Nach 300 Metern kommt die erste Rechtskurve, Nicht-Ferrarifahrer müssen sich jetzt daran gewöhnen, eine schwarze Taste mit weißem Pfeil am Lenkrad zu drücken, um den Blinker zu setzen. Wir cruisen auf der Küstenstraße von Cascais gen Norden, der Wind ist steif, die Wellen am westlichsten Punkt von Kontinental-Europa erreichen beeindruckende zwölf Meter Höhe.
Nach dem pittoresken Meeresspiel geht es in bergiges Land, ziemlich enge, kurvige Straßen und die genialen Ansauggeräusche verleiten dazu, den aus der Formel 1 entliehenen „Manettino“, den roter Drehregler, unten rechts im Lenkrad positioniert, auf Sport zu stellen und von nun an manuell durch die Gänge zu schalten. Trotz eines Leergewicht von 1620 Kilogramm lässt sich der Italiener, auch dank Hinterachslenkung, äußerst leichtfüßig um die Kurven peitschen, anschließend werden alle Pferdchen beim Kickdown auf der langen Geraden gefordert. Die

Lenkung ist äußerst präzise, fast schon rennsportlich direkt, und vermittelt auch im Grenzbereich ein sicheres Gefühl. Gerade bei höheren Geschwindigkeiten erweist sich die elektrisch höhenverstellbare Minischeibe zwischen den Kopfstützen als äußerst nützlich. Die Verwirbelungen im Innenraum bleiben frappanterweise stets angenehm und beflügeln die sportive Sinnlichkeit, sie spornen an, jetzt noch etwas kompromissloser zu fahren, also den Ferrari artgerecht zu bewegen. Das hätte Enzo gefallen! Und, ach ja, der Preis ist ebenfalls äußerst sportlich, er startet bei 435.000 Euro, unser gut ausgestatteter Testwagen lag bei knapp 550.000 Euro. Keep cruising!
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