Es ist pünktlich um 9.30 Uhr, als ich in einem geradezu unheimlich ruhigen Maranello durch die Werkstore bei Ferrari gehe. Auf einem der beiden Parkplätze vor dem legendären Fabrikgebäude wartet ein modenagelber Ferrari F8 Spider auf mich. So schnellst und einfach ging eine Testwagenübergabe selten, und ich bin so schnell durch das Tor wieder draußen, wie ich hineingekommen bin. Und zwar mit dem begehrten Fahrzeugschlüssel.
Der F8 Spider ist der Nachfolger des Ende 2015 vorgestellten 488 Spider – und steht damit in einer Traditionslinie, die vor über 50 Jahren mit dem Dino 246 begann. Heute sorgt der intern F154CD genannte 3,9-Liter-V8-Motor mit zwei Turboladern für Vortrieb; er liefert die gleiche Leistung wie der 2018er Ferrari 488 Pista Spider. Bei einer Leistung von 720 PS und einem Drehmoment von 770 Nm spurtet der F8 Spider in 2,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h, in 8,2 Sekunden von 0 auf 200 km/h sprinten und weiter bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von stolzen 340 km/h. Mit einem Gewicht von nur 1400 Kilogramm weist der F8 ein Leistungsgewicht von weniger als 2 kg pro PS auf; er ist der leistungsstärkste und möglicherweise letzte produzierte Ferrari-V8 ohne Hybridisierung.
Herantasten an den Boliden
Ich fahre den F8 Spider im November, doch der Himmel ist blau und die Außentemperatur liegt schon am Morgen bei über 15 Grad: Ein schöner Anlaß, das faltbare Hardtop per Knopfdruck zu versenken. Das dauert rund 14 Sekunden und kann bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h erfolgen. Es gibt übrigens noch eine andere Variante: Auch wenn das Dach geschlossen bleibt, läßt sich die kleine Heckscheibe öffnen. Und so können Fahrer und Beifahrer der Melodie des V8-Mittelmotors perfekt lauschen.
Beim Design treten sowohl der F8 Tributo als auch der F8 Spider in die Fußstapfen des atemberaubenden gezeichneten Pista. Vorn dominiert der sogenannte S-Duct, die seitlichen Lufteinlässe sind ungemein schlanker, die langen LED-Beleuchtungseinheiten verleihen der Front ein breites, aggressives Erscheinungsbild. Große Lufteinlässe führen der Maschine gewaltige Mengen an Kühlluft zu, die Seitenschweller verjüngen sich vor der Hinterachse.
Zum ersten Mal seit dem F430 kehren in dieser Klasse die doppelten Rückleuchten zurück; Fotoaufnahmen werden der Tiefe dieser LED-Leuchten nicht gerecht. Der untere Heckabschluß mit breitem Diffusor und zwei großen Auspuffrohren ähnelt dem Pista.
Und es erschließen sich immer neue Designelemente: Die vordere Haube bedeckt einen Gepäckraum, der in Kohlefaser-Verbundstoff ausgekleidet ist, das Interieur wird von Leder und Kohlefaser dominiert, die Carbon-Rennsitze passen perfekt. Und obwohl der Spider etwas weniger Platz hat als der F8 Tributo, können auch größere Personen bequem sitzen. Das läßt sich beileibe nicht von jedem Mittelmotor-Sportwagen behaupten.
Das Raumgefühl profitiert von der extrem niedrigen und eleganten Mittelkonsole, die hervorragende Beinfreiheit gewährt und das Raumgefühl unterstützt. Dabei ist das Cockpit extrem fahrerorientiert: Alle wichtigen Bedienelemente befinden sich direkt am Lenkrad. Dazu gehören – durchaus gewöhnungsbedürftig – Anzeigen, Blinker, Fernlicht, Startknopf, Dämpfersteuerung, die Schalter zum Aktivieren von Sprachsteuerung, Telefon und Scheibenwischern sowie nicht zuletzt der berühmte Manettino, mit dem die Fahrprogramme ausgewählt werden: Wet, Sport, Race, Traktionskontrolle aus und Stabilitätskontrolle aus. Für den Beifahrer gibt es einen eigenen Bildschirm, der per Berührung bedient werden kann.
Ich habe mich orientiert; Zeit, den F8 Spider zu fordern. Üblicherweise fahre ich von Maranello aus direkt nach Süden in die Berge, aber dieses Mal reizt es mich, neue Straßen und Orte im Osten zu erkunden. Es geht los auf der stark von Lastwagen befahrenen SP467 mit ihrem relativ schlechten Fahrbahnbelag; nicht ideal für einen 720-PS-Supersportwagen, aber mit weicher Dämpfereinstellung kommt der F8 gut damit zurecht. Sobald ich auf kleinen Straßen in die Hügellandschaft abbiege, kommt die brutale Kraft zur Geltung. Mit unerbittlicher Gewalt drückt mich die zwangsbeatmete Maschine in den Sitz, während ich von Kurve zu Kurve fliege.
Dabei ist die Geräuschkulisse nicht mehr ganz so dominant wie früher, was nicht zuletzt an der Turboaufladung und dem Otto-Partikelfilter liegt, mit dem die Emissionen in homöopathische Bereiche gedrückt werden. Und natürlich muß auch Ferrari den immer schärferen Lärmschutz-Vorschriften gerecht werden.
Die Balance und Linearität, mit der dieser Ferrari seine überragende Leistung auf die Straße bringt, ist bemerkenswert. Der F8 Spider läßt sich trotz seiner 720 PS problemlos in der Stadt und im dichten Verkehr bewegen. Doch sobald das perfekte Stück Straße auftaucht, findet eine blitzartige Transformation statt. Mein Fotograf Philipp Rupprecht und ich finden einige solcher Strecken; es sind magische Momente, zu denen dieses Auto verhilft.
Ausklang der Extreme
Wir schlagen einen Bogen zurück nach Maranello. Auf dem zweiten Teil der Tour sind die Straßen gerade und viel glatter, aber der F8 ist so unglaublich schnell, dass es nicht einmal ansatzweise möglich ist, sein Potential auf öffentlichen Straßen auszuloten. Man muß sich mit diesem Cabrio auf eine Rennstrecke begeben, um den Grenzbereich zu erfahren.
Viel zu schnell geht der Tag vorbei. Gibt es etwas Schöneres als mit diesem Boliden durch die italienischen Hügel zu fahren, während der Wind durch die Haare rauscht? Man fährt ja nicht nur, sondern erlebt viel mehr: Den Restaurantbesitzer, der mich verpflichtet, im Parkverbot direkt vor seinem Gasthaus zu parken; die Kinder, die von Ohr zu Ohr lächeln, wenn sie das Auto sehen. Glücklich, wer so etwas nicht nur an einem Testtag erleben kann.
Nach der Rückgabe beschäftige ich mich weiter mit dem Auto, vergleiche den F8 Spider gedanklich mit den vielen anderen Supersportwagen, die ich getestet habe. Ganz klar: Was die Italiener hier vorgelegt haben, kommt der automobilen Perfektion unglaublich nahe. Atemberaubendes Design, ein fahrerorientiertes Cockpit, Leistung im Überfluß für fast alle Situationen – außer vielleicht auf einem Hypercar-Trackday. Kritikpunkte? Na ja, er könnte noch etwas lauter sein. Klagen auf höchstem Niveau…
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