Sie ist das wichtigste, größte, extravaganteste Auto-Treffen des Jahres: Die „Car Week“ auf der kalifornischen Halbinsel Monterey, die zwei Stunden südlich von San Francisco in den kalten Pazifik ragt. Über eine knappe Woche hinweg reiht sich ein Event an den anderen; die wichtigsten sind dabei die freitägliche Fahrzeugshow auf dem „Quail“ und der berühmte Concours d’Elegance am Pebble Beach, der am Sonntagmorgen um 5:30 mit der „Dawn Patrol“ beginnt. Dann rollen, während sich der Küstennebel lichtet, mehr als 200 Oldtimer, Renn- und Sportwagen auf eigener Achse ein. Genau 214 Autos waren heuer bei dieser Parade der Superlative dabei.

Dauergast bei elitären Veranstaltungen: James Glickenhaus’ Ferrari Modulo.

Eine hochkarätig besetzte Expertenjury hatte dabei die Aufgabe, den Gesamtsieger zu ermitteln, und das war diesmal ein Bugatti Type 59 Sports von 1934. Die Marke war dabei nicht unbedingt eine Überraschung: Mit jeweils 10 Siegen teilen sich Bugatti und Mercedes-Benz nunmehr die Krone für die meisten Siege – so weit, so erwartbar. Die Besonderheit liegt darin, daß dieser Bugatti der erste Gesamtsieger ist, der nicht etwa mit einer perfekten Restauration glänzt, sondern zu den sogenannten Preservation-Modellen gehört, mithin seit vielen Jahrzehnten unverändert seine Patina zur Schau stellt. Es ändert sich also etwas in der Welt der hochklassigen Sammlerfahrzeuge.

Der Mercedes-Benz 540 K von Aaron und Valerie Weiss.

Daß so langsam ein neuer Wind weht, spiegelt sich auch in einer neuen Kategorie wider: Erstmals bekommen die sogenannten Wedge-Prototypen ihre eigene Klasse. Das sind die keilförmigen Typen, die erst in den 70ern ihren Durchbruch schafften. Ein wichtiger Schritt, um den Concours d’Elegance auch jüngeren Fans nahezubringen, denn das Interesse an Vorkriegsmodellen geht längst unerbittlich zurück. Inzwischen gibt es eben ganze Generationen von Autofahrern und Enthusiasten, die sie nur noch aus Museen kennen.

Mehr Kanten gehen nicht: Ferrari Rainbow von Bertone.

Die Klasse der Keile glänzte vor allem mit futuristischen Klassikern, die bereits von Konkurrenzveranstaltungen wie dem Concorso d’Eleganza am Comer See bekannt sind. Darunter der Lancia Stratos Zero von Bertone, der Ferrari Modulo von Pininfarina und der von William Towns gezeichnete Aston Martin Bulldog. Doch es gab auch faszinierende Exponate zu sehen, die bereits der Vergessenheit anheimgefallen waren – beispielsweise den Honda HP-X von Pininfarina oder der Ford Probe I von Ghia.

Der Ford Probe I bei seinem wohl letzten Auftritt.

Diese Studie nahm auf dem Abtransport übrigens ein beklagenswertes Ende: Sie fing im geschlossenen Anhänger Feuer und brannte komplett aus. Die Presse berichtete kundig von einem „Millionenschaden“ – für ein Auto, das im Juni 2002 bei einer Auktion für 46.650 Dollar den Besitzer gewechselt hatte. Eigentümer Scott Grundfor hat das turbogetriebene Exponat im Rahmen der Veranstaltung als „vollständig original“ angepriesen, obwohl das Auto vor 22 Jahren ohne den ursprünglich verbauten 2,3-Liter-Vierzylinder verkauft worden war.

So sah das Cockpit des Ford Probe I aus.

Bei aller Trauer um das zerstörte Fahrzeug wird Grundfor diese medialen Wertgutachten mit Wohlgefallen zur Kenntnis nehmen, hütet er doch gleich mehrere weitere Konzeptfahrzeuge, die damals von den Ford-Werken abgestoßen worden waren. Der Zeitpunkt, sich die damaligen Investitionen vergolden zu lassen, scheint nah.

Zur Dawn Patrol rollt der BMW Turbo ein.

Es geht eben auch ums Geld in Monterey – um sehr viel Geld sogar. Auf mehreren Auktionen wechseln mobile Pretiosen der obersten Preiskategorie ihren Besitzer. Doch dabei zogen heuer dunkle Wolken auf: Viele Sammlerstücke blieben unverkauft, die Preise bröckelten im Vergleich zu Vorjahr um knapp 10 Prozent. Kaufzurückhaltung allenthalben.

Der Lancia Stratos Zero hat wenig mit dem späteren Rallye-Auto zu tun.

Besonders gut verstanden hat man den Appeal jüngerer Fahrzeuge beim Monterey Motorsports Festival, einem neuen Format, das sich erst im zweiten Jahr befindet und stark gewachsen ist. Hier trifft ein buntes Feld von jüngeren Sportwagen und Supercars aufeinander, nicht wenige von ihnen legen dicke Gummistreifen auf den Asphalt, während begeisterte Fans Spalier stehen. Bis 22 Uhr war dieses Festival am Samstag geöffnet.

Thierry Nardones Porsche 928 und der E-Legend EL1 von Marcus Holzinger.

Zu sehen waren dort unter anderem „Restomods“ wie der Porsche 928 von Nardone und der Lancia Beta Montecarlo von Kimera, aber auch zukunftsweisende Konzepte wie der sensationelle E-Legend EL1, für den sein Schöpfer Marcus Holzinger das schöne Wort „Retrofusion“ geprägt hat. Es handelt sich dabei um einen vom Audi Sport Quattro inspirierten Boliden mit 600 kW starkem Elektroantrieb. Nebenbei bemerkt: Angesichts des frischen Motorsports Festival wirkt der angestrengt selbstironische Concours d’Lemons mittlerweile etwas abgedroschen.

Weltpremiere für den BMW M5 touring.

Wo so viele solvente Käufer und wohlwollende Presse versammelt sind, dürfen Neuvorstellungen nicht fehlen. So präsentierte sich auf der Concept-Car-Wiese unter anderem der BMW M5 Touring mit seinem V8-Plug-In-Hybrid, der dem neuerwachten Appetit der US-Amerikaner auf Hochleistungs-Kombis gerecht werden soll. Und dort stand auch der Mercedes-Maybach SL 680 als luxuriöse Ableitung des Mercedes-AMG SL 63, voller Maybach-Logos und im Gegensatz zum AMG als reiner Zweisitzer ausgeprägt.

Maybach interpretiert den AMG SL völlig eigenständig.

Seine Weltpremiere feierte auch Lamborghini Temerario, Nachfolger des Huracán und als gut 340 km/h schneller V8-Hybrid konzipiert. Er ist weicher gezeichnet als seine Vorgänger, das Interieur lehnt sich bis zur Ununterscheidbarkeit an den stärkeren Revuelto an, die Spreizung zwischen den Fahrmodi soll stark gewachsen sein. Und der V8 dreht bis 10.000 U/min. Im Gespräch lassen die Lamborghini-Experten durchblicken, wie glücklich man mit der Entscheidung ist, nicht vollständig auf Elektroautos umgeschwenkt zu sein. Vor zwei Jahren wurden die Italiener im eigenen Konzern dafür belächelt und kritisiert, inzwischen kann die Strategie als wegweisend gelten.

Der Lamborghini Temerario: Dreht bis zu 10.000 Touren.

Cadillac zeigte den elektrischen Supersportwagen Opulent Velocity, ein klarer Indikator, dass man es mit dem Sprung ins Spitzensegment ernst meint; und Honda-Nobelmarke Acura orientiert sich mit der etwas einfallslos Performance EV Concept getauften Viertürer-Studie an der Formensprache von Booten. Porsche feierte 50 Jahre Turbo. Enttäuschend der Auftritt von Kia: Erwartet wurde die Weltpremiere des EV9 GT, gezeigt wurde am Freitag lediglich ein normaler EV9 vor einer etwas lieblos gestalteten Wand des Hearst-Verlages, auf der die eigene Berichterstattung über die Elektroautos von Kia gefeiert wurde. Der EV9 GT kommt ein paar Monate später, vermutlich auf der Messe in Los Angeles und mit über 600 PS.

Internationaler Preisträger: Der Kia EV9.

Mit einem Kia EV9, immerhin “German Luxury Car Of The Year” und “World Car Of The Year”, durften wir auch die Fahrt nach Monterey antreten, von Los Angeles aus mehr als 500 Kilometer. Und mußten beim Aufladen feststellen, daß von einer funktionierenden Ladeinfrastruktur auch nach weit über einem Jahrzehnt keine Rede sein kann – wohlgemerkt im noblen Monterey im Elektro-Vorzeigestaat Kalifornien. Die 50-Kilowatt-Säule von Loop ließ sich nicht aktivieren, von den drei 350-kW-Säulen von Electrify America waren zwei über Tage hinweg ausgefallen. Lange Schlangen und vielfach abbrechende Ladevorgänge sorgten für Frust: Der Fahrer eines nagelneuen, so gut wie leergefahrenen Honda Prologue ließ fluchend wissen, er werde dem Händler sein gerade übernommenes Auto am nächsten Tag wieder vor die Tür stellen.

Faszinosum Cybertruck.

Ultimativer Hingucker in Monterey war für uns trotzdem ein Elektrofahrzeug, und zwar kein Show-Exponat, sondern ein Serienmodell. Der Tesla Cybertruck polarisiert enorm. Manche sehen in ihm einen technischen und gestalterischen Befreiungsschlag, andere stoßen sich an seiner konzeptionellen Radikalität oder bringen den Cybertruck gar mit politischen Überzeugungen in Verbindung, die man Konzernlenker Elon Musk unterstellt.

Der reichste Mann der Welt und Freund der zensurfreien Rede war in Pebble Beach übrigens nicht zugegen, wie sich auch eine Reihe anderer Vorstände und Chefdesigner, mit deren Präsenz man eigentlich gerechnet hatte, nicht blicken ließen. Nächstes Jahr wird das 75jährige Jubiläum des Concours d’Elegance gefeiert, den 17. August darf man sich schon im Kalender notieren. Nach der dann zu erwartenden Mega-Party wird man sehen, in welche Richtung sich die Car Week weiterentwickelt.


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