Aktien unter Druck? Probleme mit der Börsenaufsicht? Elon Musk hat immer noch ein As im Ärmel. Diesen Monat mußte es offenbar schnell gehen, und so lud der Tesla-Guru mit kaum zwei Wochen Vorlauf ins kalifornische Hawthorne, um das lange erwartete und vielfach angekündigte Model Y zu enthüllen. In Ermangelung einer persönlichen Einladung haben wir das Spektakel am Bildschirm verfolgt – und uns danach noch ein wenig umgehört und umgesehen.

1. Elon Musk lieferte einen historischen Abriß

Keine Überraschung: Tesla-Events beginnen unpünktlich, so wie die Modelle regelmäßig mit Riesenverspätung auf den Markt kommen. Und selbst nach dem verspäteten Beginn wurde die Geduld der Betrachter auf eine harte Probe gestellt: Bevor es das Model Y zu sehen gab, erging sich Elon Musk in einem schier endlosen historischen Abriß der Firmengeschichte. Unter den Zuhörern: Die twitternde Mama Maye, die stille Schwester Tosca – und Bruder Kimbal, der sich im Aufsichtsrat vor allem mit seinem ausladenden Cowboyhut profiliert. Der US-Journalist Anton Wahlman hat im Anschluß die Frage aufgeworfen: War Musks holpriger Vortrag etwa eine Abschiedsrede?

2. Die Kunden hätten gerne ihren Semi und Roadster

Mit dem Model Y stellt Tesla das nunmehr dritte Fahrzeug vor, das (angeblich) in der Entwicklung steckt und für das Anzahlungen eingesammelt werden, das jedoch noch lange nicht ausgeliefert wird. Die zwei anderen wurden ungeniert auf die Bühne gerollt: Der Sportwagen namens Roadster und der Lastwagen namens Semi. Der Roadster soll angeblich sogar schweben können; die Preisstruktur für den Semi ist so ambitioniert, daß manche Experten sie für unerreichbar halten.

3. Es gab nur zwei Exemplare

Genau ein (blaues) Auto wurde auf die Bühne gefahren, und es war das gleiche Modell, in dem später kurze Mitfahrten angeboten wurden. Die dritte Sitzreihe war nicht zu inspizieren, die Heckklappe wurde nicht geöffnet. Dabei sind beides die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zum Model 3. Das zweite Auto – in weiß – war dunkel verglast. Daß es sich um fahrendes Exemplar handelt, darf bezweifelt werden.

4. Die dritte Sitzreihe ist ein Gimmick

Unser Eindruck: Die dritte Sitzbank (3100 Euro Aufpreis) ist allenfalls für Kinder geeignet, auch wenn Tesla auf seiner Webseite schreibt, das Auto biete Platz für “7 Erwachsene” – mitsamt Gepäck. Ein geradezu absurdes Versprechen.

5. Die Fahrleistungen können sich sehen lassen

Es wird zwei Versionen mit Heckantrieb geben: Mid Range (192 km/h, 0-100 km/h in ca. 6 sec) und Long Range (209 km/h, 5,8 sec). Darüber rangieren die Allradvarianten mit zwei Motoren: Dual Motor Long Range (217 km/h, 5,1 sec) sowie Performance (241 km/h, 3,7 sec). Die hohen Vmax-Werte sind ein weitgehend sinnloser Gag, denn sie Reichweite schrumpft bei Höchsttempo im Topmodell wohl auf kaum mehr als 50 Kilometer. Im sehr optimistischen WLTP-Zyklus will das Long-Range-Modell mit Heckmotor stolze 540 Kilometer erreichen. Wetten würden wir nicht darauf, aber diese unrealistischen Werte sind politisch gewollt.

6. Das Design ist eine Enttäuschung

Das Tesla-Design hat sich nie durch besondere Innovationskraft ausgezeichnet, doch beim Betrachten des Model Y breitet sich geradezu gähnende Langeweile aus. Scheinwerfer und Rückleuchten scheinen Übernahmeteile vom Model 3 zu sein, und so präsentiert sich das Model Y als pummelige, aufgeblasene Variante eines längst bekannten Designs. Daß Tesla praktisch alle Bleche geändert hat, fällt nur dem Experten auf; der Laie nimmt lediglich die unglücklichen Proportionen zur Kenntnis. Innen hat sich im Vergleich zum Model 3 praktisch nichts geändert.

7. Der Produktionsstandort ist unbekannt

Noch weiß keiner, was das Hauptwerk für das Model Y sein soll: Das von Toyota billig übernommene Stammwerk in Fremont – mit dem daneben für das Model 3 hastig hochgezogenen Zelt? Die “Gigafactory” in Nevada, um deren Zukunft sich die Partnerfirma Panasonic in brennender Sorge befindet? Wenn die Produktion Ende 2020 beginnen soll, müssen bald Entscheidungen fallen. 2021 sollen China und Europa folgen. Wo Tesla das Geld dafür hernehmen soll, ist derzeit ein Rätsel. Elon Musk berichtete in Hawthorne: Die Produktion eines neuen Modells sei “hundertmal schwieriger” als die Entwicklung.

8. Hohe Preise, stolze Anzahlung

Beim Model 3 reichten noch 1000 Euro bzw. 1000 Dollar als Anzahlung, beim Model Y langt Tesla richtig hin: 2000 Euro – 2500 Dollar in den USA – sollen die Kunden bitte aufs Konto der Amerikaner überweisen. Noch am Abend wurden die Anzahlungsformulare freigeschaltet. Doch der Hype um das Model 3, bei dem viele Kunden über Nacht Schlange standen, um sich in die Bestellbücher einzutragen, wird sich nicht wiederholen. Mid-Range, in den USA 39 000 Dollar teuer, kommt in Europa erst Anfang 2022. Die Preise für die ab 2021 lieferbare, heckgetriebene Long-Range-Variante des Model Y beginnen bei 55 000 Euro, die Allradversion kostet 59 000 Euro und für die Performance-Variante müssen 67 000 Euro den Besitzer wechseln. Mit Vollausstattung lässt sich der Preis auf über 83 000 Euro treiben. Interessenten sind gut beraten, abzuwarten – wer weiß, ob Tesla die Baureihe überhaupt auf die Spur bringt.

9. Es gibt reichlich Konkurrenz

Wer sich für eine der günstigeren Varianten interessiert, sollte sich auch einmal den Hyundai Kona Elektro ansehen: Die 204-PS-Variante mit einer 0-100-Beschleunigung von 7,6 Sekunden bietet 449 Kilometer Reichweite und kostet lediglich 39 000 Euro. Auch der DS3 Crossback kommt vollelektrisch. Und wer mehr Budget hat, bekommt für knapp 80 000 Euro auch einen Audi e-tron, einen Jaguar I-Pace oder einen Mercedes-Benz EQC – und damit ein weit überlegenes Produkt mit hoher Zuverlässigkeit und verläßlichem Händlernetz. Und bei Volkswagen geht es mit der E-Mobilität gerade erst los.

10. Der Kult bröckelt

Wie bei jeder Tesla-Enthüllung war auch diesmal eine handverlesene Schar von Zuschauern vor Ort, die sich dem Kult der Marke restlos verschrieben hat. Zahlreiche Aussagen Musks wurden mit lautstarkem Beifall und Triumphgeschrei kommentiert, mancher Besucher erheischte mit Zurufen die Aufmerksamkeit seines Idols. Der Ausruf “Thanks, Elon” erschallte mehrfach. Und dennoch schien die Stimmung weniger enthusiastisch als bei vergangenen Präsentationen. In den Eignerforen ist das Echo auf das Model Y gespalten, wobei offene Kritik von den glaubensstärksten Foristen ungern gesehen wird: Man solle zu Geschmacksfragen schweigen, oder wolle man der “guten Sache” schaden? Der Ton, soviel steht fest, wird nervöser. Übrigens ist der Tesla-Börsenkurs im Nachgang der Präsentation empfindlich gefallen.

Post Scriptum: Das Chaos geht weiter

Tesla hat nach Erscheinen dieses und anderer Artikel klammheimlich die Webseite geändert: Ab 2021 soll nicht “in”, sondern “für” China und Europa produziert werden. Auch das erscheint uns noch ambitioniert…


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1 Kommentar

  1. Ihr seid ja lustig: Sich erst über das Y Design als “fad” aufregen, dann aber dieser Hinweis: “Audi e-tron, einen Jaguar I-Pace oder einen Mercedes-Benz EQC – und damit ein weit überlegenes Produkt ”

    Keine Ahnung, wie ihr “Überlegenheit” definiert, aber von E-Autos scheint ihr keine Ahnung zu haben.
    EQC und e-Tron sind technische Zwitterkrücken, der iPace zwar reizvoll, aber fürs Geld echt klein mit katastrophaler Reichweite (gilt auch für eTron (nur 208 Mielen EPA !!!!), damit 10% unter dem Kurzstrecken Y.
    Peinlich.

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