Seit dem Abgang von Martin Winterkorn ist die Wolfsburger Premium-Strategie einigermaßen durcheinandergeraten. Noch immer ist auf der Webseite ein Eintrag vom vergangenen Okober zu finden, in dem es heißt: “Die nächste Generation des Phaeton wird mit einem langstreckentauglichen, vollelektrischen Antrieb und zukunftsweisenden Assistenzsystemen neue Wege einschlagen.” Doch das stimmt nicht: Das Projekt ist in Wirklichkeit tot. Spitzenmodell ist jetzt der Volkswagen Arteon. Wir sind ihn bei der Präsentation in Hannover gefahren.

Schon im März 2015 gab es auf dem Genfer Salon einen konkreten Ausblick: Damals trat die Studie Sport Coupé Concept GTE auf, gezeichnet vom Designer Tobias Sühlmann. Markenvorstand Herbert Diess entschied kurz nach seinem Amtsantritt im Sommer 2015: Genau so wird das Auto gebaut.

Positioniert ist der Volkswagen Arteon nicht in der Luxusklasse, sondern in der oberen Mittelklasse. Allerdings deutlich oberhalb des Passat: Der Radstand ist um 5 cm gewachsen, zudem ist der Arteon 9 cm länger und 4 cm breiter. Der Motor ist vorn quer eingebaut – und damit ist die Raumökonomie hervorragend: Der Arteon übertrifft das Platzangebot des Audi A5 Sportback und kann sich locker am A7 messen. In den Kofferraum passen bis zu 1557 Liter Gepäck.

Und so spricht VW von einer “cleveren Alternative” nicht nur zur Ingolstädter Schwestermarke, sondern auch zu Nobelmarken wie Jaguar. Arteon ist clever u kostet weniger als die Konkurrenz. Das Vorgängermodell CC, so heißt es jetzt, sei unpraktisch und zu schmal gewesen. Hinzu kam die unglücklich proportionierte Form – das vorletzte Überbleibsel aus der Design-Ära Günak. (Jetzt gibt es nur noch den Scirocco.)

Drei Motoren zum Start

Zum Start kommt der Volkswagen Arteon mit drei Motoren: Einem 2,0-Liter-Benziner-Turbo mit 280 PS sowie einem 2,0-Liter TDI mit entweder 150 oder 240 PS. Nachgereicht werden ein 190-PS-Benziner und ein 190-PS-Diesel mit ebenfalls 2 Litern Hubraum – sowie ein 150-PS-Einstiegs-Benziner mit 1,5 Litern Hubraum. Von diesem Einstiegsmotor soll es auch eine Erdgas-Variante geben. Ein elektrischer Arteon steht nicht zur Debatte, und einen teuren und schwer verkäuflichen Hybrid will man sich vorerst auch ersparen.

Dafür könnte demnächst ein VR6-Motor das Modellprogramm ergänzen. Zur Diskussion steht hier nicht etwa der 3,6-Liter-Saugmotor, wie er im CC verbaut war, sondern eine Turbo-Variante. In China gibt es diesen Motor bereits mit 2,5 Litern Hubraum und 300 PS. Eine Europa-Variante würde mit anderer Kurbelwelle auf 3,0 Liter Hubraum und rund 400 PS kommen. Die Chancen dafür stehen sehr gut.

Wir sind den TDI mit 240 PS und den TSI mit 280 PS gefahren. Der Benziner macht noch mehr Spaß, das Klangbild paßt besser zum Arteon. Das 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe könnte manchmal noch schneller agieren, aber ansonsten genügt der Antrieb auch sehr hohen Ansprüchen.

Dazu passt das ausgewogene, straff-komfortabel abgestimmte Fahrwerk. Die Radgrößen liegen zwischen 17 und 20 Zoll, ideal abgestimmt ist der Volkswagen Arteon mit den 20-Zoll-Rädern, die es allerdings nur beim Ausstattungsniveau R-Line gibt. Im Vergleich zum Passat wurde nicht nur die Regelelektronik verändert, es gib auch optimierte Fahrwerksbuchsen und größere Ventile in den Stoßdämpfern, um Zug und Druck schneller variieren zu können. Die Dämpfung spricht so deutlich schneller an. Eine Progressivlenkung ist Serie; VW will die Rückmeldung deutlich spürbar machen. Dabei verzichten die Wolfsburger darauf, in BMW-Manier übertrieben hohe Lenkkräfte abzufordern.

Der Arteon weiß alles besser

Besonders stolz sind die Wolfsburger auf ihre Assistenzsysteme. Das prädikive Lichtsystem schwenkt den Scheinwerfer dank Navgationsdaten bereits vor dem Einlenken. Der Tempomat erkennt Kreisverkehre und Tempolimits, die man einhalten kann oder um bis zu 10 km/h über- oder unterschreiten darf.

Und vor einem möglichen Heckaufprall fahren die Fenster und das Schiebedach zu – bis auf einen kleinen Spalt, denn der Airbag kann sich dann besser entfalten. Sind die Fenster geschlossen, gehen sie um ebendiesen Spalt auf. Lässt der Fahrer Aufmerksamkeit vermissen, entfaltet der Arteon eine Kadenz störender Aktivitäten – von Warnungen im Bildschirm und Tosignalen bis hin zu Zupfen am Gurtstraffer und ruckelnden Bremseingriffen. Bleibt der Fahrer störrisch (oder bewusstlos), dann stoppt das Auto – und zwar nicht in der aktuellen Spur, sondern am rechten Straßenrand. Kurzum: Dieses Auto kann und weiß alles ganz genau.

Vor allem sieht es gut aus. Wie ein Ufo schwebt der Arteon durch die niedersächsische Tiefebene, und auch von innen kann man die breit ausladenden Kotflügel mit ihrer gespannten Linie genießen.

Sie funktioniert also inzwischen ganz gut, die neue Premium-Strategie aus Wolfsburg, wenngleich sich nur wenige Phaeton-Besitzer in diesem sportlich-elegantem Passat-Derivat wiederfinden dürften. Dafür könnte es in zwei Jahren eine Kombiversion geben. Und die hätte, nachdem Mercedes-Benz für den nächsten CLS keinen Shooting Brake mehr anbieten wird, eine Alleinstellung im Markt.


NEWSLETTER ABONNIEREN

Unser Newsletter liefert täglich die neuesten Artikel und die spannendsten Geschichten direkt in Ihr E-Mail-Postfach. Geben Sie uns einfach Ihre E-Mail-Adresse und los geht Ihr kostenloses Newsletter-Abonnement.

Kommentieren Sie den Artikel

Please enter your comment!
Please enter your name here