Sie steht seit Jahren auf dem Wunschzettel der Politik, jetzt kann die Wirtschaft auch liefern: Die Rede ist von der Elektromobilität, mit der – so heißt es – die Lösung mannigfacher Rohstoff-, Emissions- und Verkehrsprobleme vor der Türe steht. Doch noch weiß keiner, ob die Kunden auch anbeißen oder auf Verbrennungsmotoren beharren. Manche von ihnen treibt die Frage um: Machen Elektroautos überhaupt Spaß?

Volkswagen will genau dies beweisen – mit dem Rennwagen ID.R, der nach eindrucksvollen Auftritten am Pikes Peak und in Goodwood zum Botschafter für die Elektro-Submarke ID avanciert ist. Ende September gab der Vorstand die Freigabe für ein ambitioniertes Projekt: Einen Elektroauto-Rekordversuch am Nürburgring. Seitdem hat VW Motorsport unter Hochdruck den ID.R auf die Nordschleife angepaßt.

Es war schon zuvor eine gewaltige Aufgabe, innerhalb eines Jahres im Motorsport von Verbrenner auf Elektroautos umzuschwenken. Volkswagen-Motorsportdirektor Sven Smeets sagt: “Wer es an der Nordschleife schafft, schafft es überall“. Nächste Woche ist es so weit. Wir waren bei den Vorbereitungen dabei.

Laut François-Xavier Demaison, Technischer Direktor bei Volkswagen Motorsport, gibt es durchaus Ähnlichkeiten zur Pikes-Peak-Bergstrecke: Es geht um ungefähr 20 Kilometer auf Asphalt. Trotzdem müssen Aerodynamik, Batteriemanagement und Übersetzung anders ausgelegt werden. Und auf dem Nürburgring werden höhere Geschwindigkeiten gefahren.

Willy Rampf, einst Technischer Direktor und jetzt technischer Berater, erläutert die Änderungen: Die Spoiler vorne und hinten wurden verkleinert; der Heckspoiler liegt näher am Diffusor und der „Flatfloor“ Spoiler an den Schwellern wurde angepasst. Und man muss für das Nürburgring-Auto keine besonderen Regularien beachten – ganz anders als beim Pikes Peak. Volkswagen konnte damit kann völlig frei entwickeln, nur durch Zeitplan und Kosten begrenzt. Und so gibt es im Gegensatz zur Pikes-Peak-Ausbaustufe nun ein “Drag Reduction System” – zu deutsch: Ein System zur Verminderung des Luftwiderstands. Es wird etwa zehnmal pro Runde eingesetzt.

Der Konstruktionsansatz bei einem Elektrorennwagen ist anders als bei einem Verbrenner: Während man dort das Auto um Motor und Antrieb herum entwickelt, fängt man beim E-Auto mit der Batterie an. Gerade beim Batteriemanagement ist die Lernkurve nach wie vor steil.

In der Entwicklung war die Rückmeldung von Rennfahrer Romain Dumas von nicht zu überschätzendem Wert – und das, obwohl mit rund 1000 Sensoren am Fahrzeug bereits reichlich Daten gesammelt werden.

500 kW stark

Es stehen 500 kW Antriebs- und gleichzeitig Bremsleistung zur Verfügung. Gerade an der Nordschleife ist die Rekuperation extrem wichtig; auf dieser Strecke lassen sich rund 20 Prozent rekuperieren. Dabei lassen sich manche Sektionen nicht am Limit fahren, weil für das Gesamtergebnis Strom gespart werden muß. Und deshalb ist auch die Vmax auf gut 250 km/h limitiert. Zum Vergleich: Der Rekordwagen von Porsche schafft auf der Geraden eine Vmax von 370 km/h.

Das mechanische Fahrwerk wurde erst auf der Nordschleife richtig abgestimmt; es lagen zuvor noch keine passenden Daten vor. Und so könnte man wohl auch den Pikes Peak nun nochmals schneller fahren, da man sich schon weiterentwickelt hat.

Das Chassis ist im Prinzip gleich geblieben, es gibt drei davon: Auf einem sitzt das unveränderte Pikes-Peak-Modell, die anderen zwei wurden für den Nürburgring umkonstruiert. Während man sich am Pikes Peak nach Reglement früh für eine Fahrgestellnummer festlegen mußte, kann man nun am Nürburgring zwei Fahrzeuge abwechselnd testfahren. Während das eine Auto 20 Minuten nachlädt, ist Dumas schon wieder mit dem anderen unterwegs. Nach 20 Minuten sind die 80 Prozent Ladung erreicht, die für eine Runde nötig sind. Die Batterien werden mit großen Gebläsen luftgekühlt und erreichen eine Temperatur von 30 bis 40 Grad.

Zu den Herausforderungen gehörte es, das elektronische Fahrpedal so zu optimieren, daß es sich immer gleich anfühlt, obwohl am Anfang einer Runde die Batterie noch voll ist und deshalb nicht rekuperiert wird. Aus Strategiegründen hat Volkswagen nach dem Pikes-Peak-Rekord von Michelin- nun auf Bridgestone-Reifen gewechselt.

Ein Gesamtstreckenrekord strebt Volkswagen mit dem ID.R nicht an; dafür ist die Vmax viel zu weit vom Verbrenner entfernt. Romain Dumas erklärt, daß er mit dem ID.R eine etwas andere Linie als beim Verbrenner fahren muß: Das Räubern über die Curbs würde den ID.R beschädigen. Dafür saugt sich der niedrige Unterboden besser an. Getestet wurde übrigens auch auf den Rennstrecken in Almeria und Le Castellet – sowie mit dem Simulatorprogramm Time Attack der Firma Race Room.

Ein kleines Problem gab es für die Wolfsburger noch zu lösen: Die Energieinfrastruktur am Nürburgring ist für den ID.R nicht ausreichend. Deshalb ist VW zum Nachladen mit eigenen Generatoren angereist. Die Aggregate werden übrigens mit Glycerin betrieben; dies sei die umweltfreundlichste Möglichkeit, um vor Ort die nötige Energie zu erzeugen. Dieselgeneratoren scheut man aus nachvollziehbaren Gründen wie der Teufel das Weihwasser.

Wenn das tückische Eifelwetter mitspielt, soll der ID.R in Kürze den Rekord fahren. Und damit den Nio EP9 entthronen, der derzeit den Elektrorekord auf der Nordschleife hält. Für diese Leistung hatten die Chinesen viel Respekt bekommen. Der in England entwickelte und gebaute EP9 hatte nur ein Problem: Er war sehr weit von den Nio-Serienautos entfernt. Ähnlich weit wie ein ID.R von den kommenden Serien-Elektroautos der Marke Volkswagen.


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