Eignen sich Elektroautos für die Langstrecke? Die Bedenken sind groß; die angegebenen Reichweiten werden in der Praxis selten erreicht. Zudem läßt die Ladeinfrastruktur noch immer zu wünschen übrig. “Range Anxiety” lautet das Stichwort: Die Angst, es nicht bis zur nächsten Ladesäule zu schaffen. Jetzt hat Audi zum Test gebeten: Am Steuer des Audi e-tron quer durch Europa, zehn Länder in 24 Stunden. Anspruchsvoller geht es nicht.
Es ist die Abschlußveranstaltung einer globalen Tournee, auf der Audi die Qualitäten des e-tron zeigen wollte. Rekuperation am Pikes Peak, Driften in der namibischen Wüste, eine Pressefahrvorstellung in den Vereinigten Arabischen Emiraten: Jetzt soll der Audi e-tron Europa erobern.
Es geht los in Slowenien: Hinflug (sorry, Greta), Einweisung, drei Fahrer pro Auto, die sich den e-tron nun für 24 Stunden teilen werden. Angehalten wird nur zum Laden. Wir starten um 8:40 im malerischen Bled, dem ehemaligen Bad Veldes, und erreichen schon in 20 Minuten die österreichische Grenze.
In Slowenien – ganz EU-Musterland – wird die Geschwindigkeit streng kontrolliert, Verstöße hoch geahndet. Besser, man läßt es langsam angehen und gewinnt schon einmal einen ersten Eindruck von Audis 80 000-Euro-Zukunftsauto. Die Verarbeitung ist wirklich Premium: Leder, Kunststoff, Oberflächen, Materialien, Passungen – alles spitze.
Was gleich auffällt: Der Außenspiegelersatz als Kamera mit Bildschirm. Ein alter Designertraum, der in der Praxis nicht überzeugt: Der linke Bildschirm ist schlecht einsehbar und zwar gewöhnungsbedürftig, nicht aber -fähig. Der rechte Bildschirm ist schneller zu lernen, und bei Nacht und schlechtem Wetter ist auf dem Display alles sehr gut zu erkennen. Trotzdem: Es fehlen die echten Farben und die Dreidimensionalität eines klassischen Spiegels. Zudem sind die Außenkameras ausgesprochen klotzig geraten – ganz anders als die pfeilförmigen, schlanken Mini-Kameras an den Concept Cars, die als Inspiration dienen sollten.
Kilometerstand 106: Nach einer guten Stunde, um 9:45, ziehen wir zum ersten Mal Strom – und zwar an der Ionity-Ladesäule im kärtnerischen Eisentratten. Der e-tron hat 38 kWh verbraucht, geladen wird mit 150 Kilowatt. Das ganze kostet subventionierte 8 Euro.
Dabei genießen wir ein schönes Beispiel deutscher Ingenieurskunst: Bis knapp 80 Prozent Akku-Füllgrad kann mit 150 kW geladen werden, während bei Tesla die Ladekurve schon bei 30 Prozent abzusacken beginnt.
Dazu muß man aber auch eine passende Ladesäule haben. Kein Problem bei unserer nächsten Station am Flughafen in Bozen, denn hier hat Audi eigens für die Veranstaltung eine Ladestation mit Akkucontainern aufgebaut, die mit “Grünstrom” betrieben sein wollen. Trotzdem wird sich Audi mit 25 kW aus dem italienischen Netz bedienen müssen.
Um 11:45 passieren wir die Grenze nach Italien, mit Stau und Umleitungen, und um 13:50 erreichen wir Bozen – bei Kilometerstand 386. Die Ladeinfrastruktur in Italien ist so unzureichend, daß Audi auf eine eigene Lösung zurückgreifen mußte, für die – sicher nicht kostendeckende – 55 Cent pro kWh verrechnet werden. Wir verbrauchen 54 kWh. Und nehmen die Erkenntnis mit, daß sich ein Elektroauto wegen der niedrigen Ladesäulendichte vielleicht noch nicht zum Adria-Expreß eignet.
Jetzt wandelt sich die Reise zur hochalpinen Tour: Um 17:00 passieren wir die Paßhöhe des 2474 Meter hohen Timmelsjochs. Lagen die Temperaturen in Bozen noch bei sonnigen 30 Grad, so stürzen sie an der Scheitelhöhe bei Nebel auf nur 10 Grad.
So rapide die Restkilometer der Batterieanzeige auf der Timmelsjoch-Südrampe dahinschmelzen, so beeindruckend ist aber die Rekuperation auf der Abfahrt, die mit bis zu 220 kW erfolgt. Dabei macht sich durchaus angenehm bemerkbar, daß Audi auf das stumpf wirkende “One-Pedal”-Gefühl verzichtet. Im e-tron soll sich die Bremse normal anfühlen, so die Entwickler, und das tut sie auch.
Bei Kilometerstand 601, um 19:00, laden wir in Wald am Arlberg problemlos nach: 57 kWh zum Ionity-Tarif von 8 Euro. Wir bemerken: Wenn die Schnelladestationen funktionieren, so wie hier, dann muß man sich bei einer Kaffeepause schon beeilen. Und so herrscht trotz Starkregen bei der elektrisch bewegten Besatzung eitel Sonnenschein. Noch.
Um 21:15 passieren wir Schaanwald die Grenze nach Liechtenstein und sind bereits fünf Minuten später in der Schweiz. Um 21:30 halten wir an der Ionity-Ladestation Kemptthal. Und hier machen sich erstmals Grenzen des Systems bemerkbar: Ab dem dritten e-tron ist die Ladestation überlastet, es ist offenbar schwierig, die Spannung auf hohem Level zu halten. 52 kWh kosten pauschal 8 Franken. Übrigens ist der Anschluß nicht optimal plaziert; wir müssen an den verschiedenen Stationen immer wieder zwei Parkplätze blockieren, um laden zu können.
Doch die reduzierte Ladegeschwindigkeit in Kemptthal ist lediglich ein Vorbote dessen, was nun folgt. Zunächst können wir zwar die Zügel schießen lassen: Um 23:35 fahren wir in Weil am Rhein auf die deutsche Autobahn auf. Wobei sich bestätigt: Bei zügiger Fahrweise kommt die Batterie schon bei 250 Kilometer Strecke an ihre Grenzen. Bewußte Schleichfahrten bringen einen allerdings 350 bis 400 Kilometer weit.
Um 0:30 steuern wir bei Kilometerstand 958 und mit 5 Kilometern Restreichweite die Ladestation Achernsee an. Gleichzeitig sinkt die Stimmung auf den Nullpunkt: Nur eine der Allego-Ladesäulen funktioniert mit 150 kW. Die zweite schafft nach vielen Versuchen 65 kW, Nummer drei ist ausgefallen. Endlich kommen wir an die Reihe, lassen 86 kWh in den knapp 2,6 Tonnen schweren SUV träufeln. Fast zwei Stunden Wartezeit hat uns der Ausfall gekostet, bis 2:30 morgens können wir das Ambiente eines nächtlichen Autobahnrastplatzes genießen. Das zweifelhafte Vergnügen kostet 9,95 Euro.
Um 2:45 verlassen wir Deutschland am Grenzübergang Gambsheim und rollen durch Frankreich weiter. Dabei notieren wir: Die Schallschutzverglasung vorne ist wirkungsvoll und angenehm; die Windgeräusche sind auf den Vordersitzen sehr niedrig, während im Fond beim Versuch, Schlaf zu finden, deutliche Windgeräusche im Bereich der C-Säule zu vernehmen sind. Die Beinfreiheit ist überall großzügig, und bei einer derartigen Langstreckenfahrt lernt man die hervorragende Sitzmassage vorn besonders zu schätzen.
Wenn es Streckenführung und Ladezustand hergeben, sollte man übrigens im Modus “Comfort” bleiben, denn “Ecodrive” bedeutet erhebliche Komfortverluste. Der Wagen senkt sich dabei nämlich ab 120km/h um 26mm ab, um den Luftwiderstand zu verringern. Darunter leidet die Dämpfung spürbar.
Wir schaffen es locker bis zur Ionity-Ladesäule Eifel-Ost bei Kilometerstand 1214: 80 kWh, 8 Ionity-Euro, morgens um 5:20. Es wird hell, doch jetzt wird die Landschaft eintönig, Kilometerfressen ist angesagt: Um 7:30 sind wir in Luxemburg, eine halbe Stunde später in Belgien – und laden um 9:00 bei in Lüttich 72 kWh zu 8 Euro nach. Damit ist das Ziel ist verfehlt: Wir sind noch nicht in Holland, aber die 24 Stunden sind abgelaufen.
Endspurt nach Amsterdam: Wir laufen mit Kilometerstand 1695,8 um 12:40, nach exakt 28 Stunden, am Flughafen Amsterdam-Schiphol ein. Daß wir das letzte der zehn Länder nicht ganz in den vorgegebenen 24 Stunden erreicht haben, liegt nicht am Auto, sondern an den Ladeproblemen in Deutschland. Der Audi e-tron hat noch 88 Kilometer Restreichweite, Audi preßt im Anschluß noch einmal 61 kWh hinein.
Zeit, Bilanz zu ziehen. Der Verbrauch: 27,2 kW pro 100 Kilometer, bei einem Durchschnittstempo von 72 km/h. Und wir haben einen Hub von 84 kW genutzt, bei einer 95 kWh-Batterie.
Sieht so die Zukunft aus? Wir haben jedenfalls gelernt: Auch Langstrecke läßt sich mit einem Elektroauto darstellen. Doch wer elektrisch unterwegs sein will, muß planen – und warten. Demnächst vermutlich auch richtig zahlen, denn eines Tages will auch Ionity Geld verdienen. Wir jedenfalls haben hinterher einen Tag zum Rekuperieren gebraucht…
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