Der automobile Jahresbeginn spielt sich zwischen Las Vegas (CES) und Detroit (NAIAS) ab, doch wer etwas über die automobilen Trends erfahren will, kommt auch weiterhin nicht an Europa vorbei. Beispiel? Das so erfolgreiche wie faszinierende Segment der Hochleistungs-Kombis ist in den USA praktisch nonexistent.
Und damit entgeht den Amerikanern unter anderem der neue Audi RS4 Avant, das jüngste Modell der Hochleistungs-Division Audi Sport. Er ist Erbe einer stolzen Tradition, die nunmehr in die fünfte Modellgeneration geht. Ihr Ahnherr ist der RS2 Avant, der einst mit Porsche zusammen entwickelt wurde. Die Verbindung existiert weiter: Unter der Haube des neuen RS4 Avant steckt das gleiche V6-Biturbo-Aggregat wie im Panamera 4S.
Abgeleitet ist der Kombi vom profanen A4 Avant; er liegt allerdings nicht nur tiefer, sondern er ist auch deutlich breiter als das Ausgangsmodell. Das Auto steht auf 265er- oder 275er-Pneus der Serie 30, die auf 19- oder 20-Zoll-Felgen aufgezogen sind. Front- und Heckleuchten verfügen über angesetzte, simulierte Luftschlitze, wodurch die Proportionen deutlich an Eleganz gewinnen.
Unser Testwagen verfügte nicht nur über die breiteren Reifen, sondern auch über das komplette RS-Dynamik-Paket, das unter anderem eine dynamische Lenkung, das Sportdifferential und eine von 250 auf 280 km/h angehobene Abregelschwelle umfasst. Ohne Abregler würde das Auto über 300 km/h schaffen.
Der mit 2,9 Litern Hubraum recht kompakte V6-Biturbo-Vierventiler leistet 450 PS und glatte 600 Nm Drehmoment; die Kraft wird über einen ZF-Automaten auf alle vier Räder gebracht. Der Wandlerautomat schaltet die acht Fahrstufen so blitzschnell durch, dass man ihn beinahe für ein Doppelkupplungsgetriebe halten könnte – wäre da nicht die Drehmomentüberhöhung beim Anfahren. Der Sprint von 0 auf 100 km/h dauert nur 4,1 Sekunden.
Der gemeinsam mit Porsche entwickelte V6-Motor arbeitet annähernd ohne Turboloch; er emittiert einen aggressiven, wenngleich etwas gedämpften Klang, der im “Dynamic”-Modus künstlich verstärkt wird. Das ganze ist leider bei weitem nicht so emotional wie beim Vorgängermodell mit freisaugendem V8-Motor, und auch der V8-Biturbo des Mercedes-AMG C63 vermittelt mehr Faszination.
Perfektes Fahrwerk
Dafür liefert der Antrieb Perfektion, genau wie das Fahrwerk. Wir haben uns auf den schnellen, jedoch etwas rutschigen und unebenen Landstraßen in der spanischen Sierra Nevada für ein individuelle Einstellung der Parameter entschieden, die Antrieb und Sportdifferential im aggressivsten Modus hält, die Dämpfung auf mittlerem Niveau und die Lenkung leichtgängig. Das Stabilitätssystem bereitet im Sport-Modus mehr Fahrfreude als in der Normalstellung, weil es leichte Heckschwenks gestattet, ohne auf das elektronische Sicherheitsnetz zu verzichten.
Damit ist das Fahrverhalten eine wahre Offenbarung. Die Lenkung ist rasiermesserscharf und perfekt gewichtet, das Sportdifferential agiert ausgesprochen zackig, und unter Ausnutzung von Lastwechseln lässt sich der RS4 Avant perfekt mit dem Gaspedal plazieren. Der Allradantrieb ist heckbetont und kann das Drehmoment variabel verteilen.
Der RS4 Avant ist jedoch nicht nur extrem schnell, sondern auch ein geräumiges und luxuriöses Reiseauto. Seine sportlichen Gene kann er jedoch nur unzulänglich verbergen. Selbst im Komfort-Modus ist die Maschine deutlich zu hören, und die Reaktion aufs Gaspedal ist spontan, wenngleich nicht so giftig wie im Dynamik-Modus.
Die Sportsitze passen wie angegossen, und die Armaturentafel wirkt modern – insbesondere dann, wenn die TFT-Instrumentierung verbaut ist. Sie erlaubt es, eine große Navigations-Karte hineinzuprojizieren, indem Tacho und Drehzahlmesser in die Ecken wandern. Alternativ nimmt der Drehzahlmesser die zentrale Position ein; dann können links und rechts mehr oder weniger informative Daten eingeblendet werden, etwa das abgegebene Drehmoment und die anliegende Leistung sowie die g-Kraft, der das Fahrzeug ausgesetzt ist. Das Infotainment-System funktioniert schnell und ohne Tadel; nur das Mercedes-System agiert auf ähnlichem Niveau.
Mit 79 800 Euro ist der Audi RS4 Avant nicht gerade billig – und dennoch fast ein Sonderangebot. Denn er kombiniert die Leistung eines Supersportwagens mit dem Raumangebot eines Premium-Kombis. Und er repräsentiert einen spezifisch europäischen Stil.
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