Der 15. April 2023 ist die Nacht des deutschen Atomausstiegs. Bundesstraße 15n zwischen Regensburg und Landshut, es ragt trotzig auf: Das Kernkraftwerk Isar 2, dessen allerletzte Stunde jetzt anbricht.

Noch ist Zeit, ich fahre rechts ran für ein Foto. Und nehme ein kleines Symptom des Kontrollverlusts und der falschen Prioritäten wahr: Vor meinen Scheinwerfern macht sich ein Biber an der Uferböschung des Längenmühlbachs zu schaffen. Diese Plage breitet sich neuerdings überall aus. Ich blicke wieder nach oben: Der Kühlturm rauscht, die Strommasten singen. Eigentümliche Schwingungen in der Nacht.

Auf dem Besucherparkplatz ist tatsächlich etwas los: Vielleicht 40 Autos, vom alten Fiesta bis zum neuen A5, ein paar übergewichtige Neuwagen mit E-Kennzeichen, Bierkästen, Sekt; die Atomkraft-Nein-Danke-Flagge mit Anne Lunds feixender Sonne darf nicht fehlen. Es werden Selfies geschossen. Der Atomausstieg ist der Identitätskern der grünen Bewegung, und hier soll es in Zukunft keine Besucher mehr geben.

Das Kernkraftwerk Isar 2 wurde 1988 in Betrieb genommen, damals war Franz Josef Strauß Ministerpräsident – 23 Jahre bevor Markus Söder lärmend einen „Ausstieg“ forderte, den er 12 Jahre später bekommen hat. Der Druckwasser-Reaktor (Nennleistung: 1410 Megawatt) lieferte 12 Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr: zuverlässig, sicher, CO2-arm. Und er hielt die Wirtschaft am Laufen, besser noch als günstiges Gas aus der Pipeline. Kernstrom war „so billig, daß wir die Zahlen in der Bilanz verstecken mußten“, erzählte mir einmal ein Atom-Manager.

Noch eine halbe Stunde bis Mitternacht: Die Polizei ist überpräsent, fährt mit 5er-BMW und VW-Transportern auf und ab. Aber es bleibt ruhig. Und es gibt ernste Gesichter: Ein Paar kommt auf mich zu, gratuliert mir zu meinem „Langzeit-Auto“. Es äußert Empörung über das vorzeitige Abschalten des voll funktionsfähigen Reaktors. Ein anderer hat zwei Kerzen aufgestellt: „R.I.P. Isar 2 – 15.4.23“. Dieses Kraftwerk hat viele Arbeitsplätze geschaffen. Und Millionen Haushalte mit Strom versorgt. Heute wird nicht nur gefeiert.

Wo sind eigentlich die Klima-Kleber? Vor wenigen Tagen ging ein peinliches Video der „Aktivistin“ Pauline Brünger viral: Die „Klimakrise war noch nie so nah“, die „Regierung hat keinen Plan, hat’s nicht im Griff“. Sie wird bei „Markus Lanz“ als Sprachrohr einer Generation inszeniert. Warum protestiert sie hier nicht gegen die Abschaltung der CO2-freien Kernenergie?

Auf dem Parkplatz bekommen wir es nicht mit, aber die PreussenElektra teilt später mit: Schon um 23:52 wurde der Generator vom Stromnetz getrennt. In diesem Moment erfüllt sich der Traum einer Bewegung. Generationen wurden dafür indoktriniert, mit den Gudrun-Pausewang-Schinken in den 80er- und 90er-Jahren bis hin zum Märchen von zehntausenden Fukushima-Toten auf den Twitter-Konten vieler Politiker. Das Trommelfeuer ging über Jahrzehnte nieder.

Gemessen an der Tragweite des Ereignisses bleibt die Stimmung erstaunlich gedämpft. Als um Mitternacht die Kirchturmglocken zwölfmal läuten, wird zwar kurz aus Richtung der grinsenden Sonne gejohlt. Aber es gibt keine lauten Reden, kein Feuerwerk. Die Protagonisten des Atomausstiegs haben gesiegt. Doch jetzt müssen sie diesen Sieg gegenüber den Bürgern auskosten.

Carsten Müller ist Standortleiter des Kraftwerks Isar 2. Er sagt: „Die Abschaltung von Isar 2 ist ein routinemäßiger Vorgang, den wir jedes Jahr während der Abschaltung zur Revision durchgeführt haben – doch heute zum letzten Mal. Damit endet die Ära der Stromerzeugung aus Kernkraft hier am Standort und in ganz Deutschland. Dieser Moment geht unserer Mannschaft und mir persönlich sehr nahe.“

Noch ist die Tür nicht völlig geschlossen. Denn Isar 2 wird mitnichten mit „Säure“ zerstört, wie jüngst berichtet wurde. In Wahrheit wird lediglich die oberste Ablageschicht der Rohrleitungen und Komponenten abgetragen, ohne das Grundmaterial zu beschädigen. Die Anlage ließe sich retten. Aber ist das Land noch zu retten?

Ein paar Kilometer vom Kraftwerk entfernt, noch in Sichtweite des Kühlturms, gibt es eine Ladestation für Elektroautos. Schon vor der Abschaltung der Kernkraftwerke hatte Deutschland eines der dreckigsten Stromnetze Europas; jetzt werden die Gas- und Kohlekraftwerke erst so richtig angeheizt. Aber das interessiert kaum einen, denn Elektroautos werden – frei nach Pippi Langstrumpf – mit einem CO2-Ausstoß von null zertifiziert.

Ich lasse den Wagen an und rolle an der sich auflösenden Versammlung vorbei, zurück auf die Straße. Isar 2 verschwindet im Rückspiegel, das Rauschen verstummt, aber der Motor schnurrt. Der Himmel über Bayern ist pechschwarz.


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