Die Luxusklasse hat sich neu ausgerichtet: Das ewige Wachstum der klassischen Limousinen macht sie in europäischen Städten unfahrbar, und die Kundschaft möchte sich ohnehin lieber mit familienfreundlichen Autos präsentieren. Lange Zeit bedeutete ein SUV noch Verzicht, jedenfalls im obersten Segment, wo Limousinen ihre letzten Vorzüge mit Spitzenmotorisierungen und elektronischen Gimmicks ausspielen konnten. Aber jetzt sind auch die SUVs ganz oben angekommen. Das konnten wir bei Testfahrten mit zwei der faszinierendsten Modelle nachprüfen, die es aktuell zu kaufen gibt: Dem BMW XM – und dem Mercedes-Maybach GLS 600.

Street Smart: Der BMW XM.

Klar, es gibt auch noch den ehrwürdigen Range Rover sowie SUV-Modelle von Bentley, Ferrari, Lamborghini und Rolls-Royce. Aber die neueste und ausgefeilteste Technik bekommt man zuverlässig bei deutschen Premium-Herstellern, also bei BMW und Mercedes-Benz. In Zukunft wird es übrigens auch einen Horch auf Basis des kommenden Audi Q9 geben, wenn der frischgebackene Markenchef Gernot Döllner die Strategie nicht noch umwirft.

Den ersten Ausblick auf den Maybach-SUV gab es auf der Automesse in Peking im April 2018. Dort trat die Vision Mercedes-Maybach Ultimate Luxury auf – als SUV mit Stufenheck und einem fondorientierten Interieur, wie es vor allem die Chinesen schätzen. Angetrieben angeblich von einem 750 PS starken Elektromotor. Doch es bestand kein Anlaß zur Sorge: Unter die Haube paßte auch ein V8. „Gewöhnungsbedürftig“, kritisierte die Presse, „das Heck gefällt nicht.“ Uns schon. Aber so sollte das Auto ja auch gar nicht auf den Markt kommen.

Weltpremiere in China – mit Stufenheck.

Deutlich näher an der Serie war die Ende 2021 in Miami gezeigte Studie, mit der BMW den XM ankündigte (auch mit 750 PS). Brutale Linien, eine höchst prominente Doppelniere, ein tief nach unten gezogenes Heckfenster und zwei eckige, vertikal angeordnete Doppel-Endrohre: Die Presse empörte sich, beschimpfte den XM als „obszön und vulgär“, erfand „entsetzte Fans“. BMW nahm die Kritik amüsiert zur Kenntnis – und überführte das Auto ein Jahr später praktisch unverändert in die Serie.

BMW XM: Studie mit Hinweis auf die Struktur.

Den Mercedes-Maybach GLS 600 (ab 190.031 Euro) gibt es schon seit 2020: Er basiert auf dem GLS der aktuellen Baureihe X167, die Mitte 2023 ein Facelift bekommen hat. Es gibt ihn ausschließlich mit einem 410 kW/557 PS starken 4,0-Liter-Achtzylinder, und das Serienmodell läßt sich stilistisch der Studie von 2018 annähern – mit der Sonderlackierung hyazinthrot (1428 Euro), 23-Zoll-Schmiederädern (7140 Euro), dem First-Class-Fond (21.944 Euro) und der Innenausstattung in kristallweiß (mit den dann obligatorischen Extras 40.282 Euro). Mit dem Facelift ist der Maybach etwas verspielter geworden, die Elektronik wurde verbessert.

Es gibt auch eine Zweifarbenlackierung.

Der BMW XM ist demgegenüber fast ein Sonderangebot – aber nur, wenn man sich mit dem jüngst nachgeschobenen Sechszylinder begnügt (ab 132.400 Euro). Eigentlich gehört in dieses Auto der Plug-in-hybridisierte 4,4-Liter-V8-Antrieb mit 480 kW/653 PS, dann kostet er 178.000 Euro. Für weitere 35.000 Euro gibt es ein Spitzenmodell mit dem ungewöhnlichen Namen „Label“ und 530 kW/748 PS. Doch beim „Label“ gibt es weder die sensationelle Innenausstattung in „deep lagoon“ noch den goldfarbenen Akzentstreifen, der einfach zu diesem Auto dazugehört (obwohl er bei unserem Testwagen fehlt).

Beleuchtete Doppelniere: Sorgt für Überholprestige.

Wir umkreisen den Maybach GLS: Unser Testwagen hat eine Zweifarbenlackierung (20.825 Euro), vorne glänzt Chrom, die Lufteinlässe werden durch Maybach-Logos veredelt. Beim Öffnen der Portale fahren Trittbretter aus. Innen ist unser Auto schwarz, vorne sitzt man wie in einem normalen GLS (also sehr gut), hinten thronen die Passagiere auf Einzelsitzen. Kleines Problem: Vom großzügigen Gepäckraum des GLS bleibt bei der viersitzigen Konfiguration nicht viel übrig – erst recht nicht, wenn im Kofferraum zudem ein Kühlschrank verbaut ist. Passend dazu kann man beim Händler übrigens versilberte Champagnerkelche aus dem Hause Robbe & Berking ordern.

Prestigeträchtiges Logo auf der D-Säule.

Während der Maybach sich durch ostentativen Luxus auszeichnet, dominieren im BMW XM experimentale, kristalline Formen. Der beleuchtete Alcantara-Dachhimmel ist als prismatische Struktur ausgeprägt, die Rücksitzbank geht in die Seitenwand über. Vorne leuchtet die kantige Doppelniere, am Dachabschluß unterstreichen zwei in die Verglasung eingeätzte BMW-Logos die Verwandtschaft zum Mittelmotor-Sportwagen M1 und zur legendären Turbo-Studie von 1972.

Ein Dachhimmel aus der Zukunft.

Der Maybach geht besonders leise und diskret zur Sache; sein V8 wird von einer Mild-Hybridisierung unterstützt. Nur bei beherztem Gasgeben läßt er ein gedämpftes Grollen vernehmen. Seine Fahrleistungen sind über jeden Zweifel erhaben: Von 0 auf 100 km/h in 4,9 Sekunden, Spitze 250 km/h, im Zyklus verbraucht er akzeptable und leicht zu unterbietende 13,9 Liter pro 100 Kilometer. Das Fahrwerk läßt sich vielfach verstellen: Er kann sich wie ein Motorrad in die Kurve legen oder im „Maybach“-Modus Bodenunebenheiten souverän wegbügeln. Die Instrumentierung verfügt passend dazu über einen „Maybach“-Modus, der optisch ein wenig an Emaille erinnert.

Vom Hybrid merkt man nichts (gut so).

Der BMW XM ist von anderem Schrot und Korn: Sein V8 ist akustisch deutlich präsenter, er braucht nur 4,3 Sekunden für den Standardspurt, schafft gegen Aufpreis sogar 270 km/h. Andererseits kann man ihn rund 90 Kilometer weit elektrisch fahren, ohne daß der V8 je bemüht werden müßte. Der Zyklusverbrauch von ganzen 1,4 Litern pro 100 Kilometer ist eher als heitere Kommentierung der EU-Regularien zu interpretieren; in der Praxis läßt er sich nur erreichen, wenn man die Akkus permanent mit (meist schmutzigem) Netzstrom auflädt. Die schweren Batterien sind übrigens dafür verantwortlich, dass der XM praktisch genauso schwer ist wie der Maybach, nämlich rund 2,8 Tonnen. Allerdings kompensiert er das Gewicht sehr überzeugend, wirkt auf schnellen Landstraßen sehr agil.

Klingt so, wie er aussieht.

Der Mercedes-Maybach GLS 600 und der BMW XM repräsentieren die Extreme dessen, was heute in der Luxusklasse möglich ist – und es ist nicht von der Hand zu weisen, daß beide von der Faszination ihrer V8-Maschinen leben. Der nächste Schritt? Die elektrischen Alternativen aus gleichem Hause überzeugen nicht – weder der nervöse BMW iX M60 noch der weiche und undynamische Mercedes-Maybach EQS 680 SUV. Dazu kommen die konzeptionellen Nachteile von Elektroautos. Für uns steht fest: Die Neuausrichtung der Luxusklasse hat mit dem XM und dem Maybach GLS einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Die Oberklasse hinterläßt Spuren.

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