In zwei Jahren will der Hyundai-Konzern die Nobelmarke Genesis in Europa lancieren, in den USA gibt es die Marke bereits seit 2016. Sie hat sich aus den Spitzenmodellen der Marke Hyundai herausentwickelt – ähnlich wie der PSA-Konzern die Marke DS von Citroën abgespalten hat und Polestar als eigenständige Marke neben Volvo etabliert werden soll.

Unter der Führung von CEO Manfred Fitzgerald und Chefdesigner Luc Donckerwolke will sich Genesis als Alternative zu den europäischen und japanischen Premium-Marken etablieren. Das war unter der Hyundai-Flagge in der Vergangenheit nur unzureichend gelungen. Modelle wie der XG und der Grandeur verkauften sich nur in homöopathischen Stückzahlen, und die erste Generation des Hyundai Genesis wurde in Europa gar nicht erst eingeführt. Mit der zweiten Generation versuchte man es 2015, doch das Modell wurde rasch wieder vom Markt genommen.

In Europa will man nun abwarten, bis das Portefeuille dem neuen Anspruch entspricht und eine neue Designlinie etabliert ist. Auf Märkten wie den USA und Korea hat man sich diese Zeit allerdings nicht genommen. Dort werden der zum Genesis G80 umetikettierte Hyundai Genesis sowie das Spitzenmodell Genesis G90 einträchtig neben der neuen Sportlimousine G70 feilgeboten. Alle drei Modelle entstammen stilistisch noch der Prä-Donckerwolke-Ära; erst der für 2019 angekündigte SUV Genesis GV80 repräsentiert die Markenphilosophie uneingeschränkt.

Einstweilen wird die Marke jedoch von den aktuellen Modellen repräsentiert – und zuletzt hat Genesis ihre Bedeutung durch eine Sonderserie von fünf Derivaten des G90 unterstrichen, die Anfang März im Rahmen der “Academy Awards” zum Einsatz kamen. Grund genug, eine Woche mit dem aktuellen G90 zu verbringen, um einen Eindruck davon zu gewinnen, was man in Korea heute unter Luxus versteht.

Das Design ist konservativ

Familiensinn kann man dem G90 zumindest nicht absprechen: Auf den ersten Blick wirkt er wie eine verlängerte Variante des G80, erst beim zweiten Hinschauen wird deutlich, dass kein Karosserieteil austauschbar ist. Die Kühlermaske ähnelt nicht nur den Modellen G70 und G80, sondern auch einigen aktuellen Hyundai-Typen. Insgesamt dürfte der G90 – neben seinem Schwestermodell Kia K9 – die bei konservativste Interpretation einer Oberklasse-Limousine darstellen, die momentan gebaut wird.

Dieser Eindruck setzt sich im Interieur fort. Die dick gepolsterte Armaturentafel spreizt sich weit in die Horizontale, die haptisch perfekt ausgeführten Bedienelemente wirken wie in flüssiges Metall getaucht, der Zentralbildschirm ist extrem breit. Das Vierspeichenlenkrad wirkt anspruchsvoll und elegant. Doch der Gesamteindruck ist ein wenig altmodisch, und das wird besonders deutlich an den Blindflächen neben dem Zentralbildschirm; sie werden durch eine horizontale Prägung, die an heruntergelassene Jalousien erinnert, bemüht aufgelockert.

Dafür sitzt man sowohl vorn als auch hinten hervorragend; die Fauteuils lassen sich vielfach elektrisch verstellen und der Komfort ist kaum zu übertreffen. Dazu trägt auch die perfekt isolierte und aerodynamisch ausgefeilte Kabine bei, die es den Insassen erlaubt, die von Harman zugelieferte Lexicon-Stereoanlage ungestört zu genießen.

Schöner V6, perfekter V8

Obwohl sich der G90 als komfortorientierte Luxuslimousine präsentiert, können die dynamischen Qualitäten jedem Vergleich standhalten. Zur Wahl stehen ein 370 PS starker 3,3-Liter-V6-Biturbo der Lambda-Motorenserie sowie ein 426 PS starker 5,0-Liter-V8-Saugmotor aus der Tau-Motorenfamilie. Das maximale Drehmoment ist mit 376 Nm (3,3 Turbo) bzw. 383 Nm (5,0)nahezu identisch, wobei die Kraft beim V6-Biturbo bei deutlich niedrigerer Drehzahl anliegt. Und damit wirkt die kleinere Maschine sogar noch etwas agiler als der große V8. Dafür spricht der V8 noch satter an und klingt noch schöner als der dezent auftretende V6. Im übrigen ist sein Mehrverbrauch vernachlässigbar, so dass beim G90 einiges für die klassische Prestige-Motorisierung spricht.

Das aufwendige Fahrwerk mit Fünflenker-Achse vorn und hinten sowie 245er-Reifen vorn und 275er-Reifen hinten, die auf 19-Zoll-Felgen aufgezogen sind, hat übrigens keine Schwierigkeiten, mit der gebotenen Leistung klarzukommen. Doch die 520-Zentimeter-Limousine ist genau wie die Konkurrenz aus Stuttgart, München und Ingolstadt nicht dafür gedacht, im Rekordtempo über Landstraßen zu hetzen. Statt dessen liegt ihr das souveräne Gleiten auf der Autobahn bzw. dem Freeway – wobei es sich empfiehlt, die Tachonadel genau im Auge zu behalten. Denn der hohe Antriebskomfort führt dazu, dass man die gefahrene Geschwindigkeit weit unterschätzt.

Eine gute Ausgangsbasis

In seiner aktuellen Form dient der Genesis G90 vor allem als Ausweis technischer Kompetenz – und er formuliert den Anspruch der Marke, eine vollständige Modellpalette anzubieten. Und es ist geradezu wohltuend, dass sich Genesis mit dem G90 sich von den etwas abgedroschenen Klischees automobiler Sportlichkeit distanziert. Doch zu diesem Ansatz würde eine reduzierte, kühle Ästhetik besser passen als der etwas überladene Stil, den das Modell derzeit pflegt. Ein Facelift könnte hier Abhilfe leisten.

Und bei dieser Gelegenheit sollte sich Genesis auch noch einmal über die Einpreisung Gedanken machen. Wer ein Auto mit den Qualitäten eines 7er-BMW zum Preis eines 5er anbietet, nämlich für umgerechnet weniger als 60 000 Euro, der landet erst gar nicht auf dem Radarschirm einer Klientel, die keineswegs eine billigere, sondern vielmehr eine intelligente und individuelle Alternative zum Etablierten sucht. Und erst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, sollte Genesis sein Spitzenmodell nach Europa bringen.


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QuelleGenesis
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