Volkswagen vollzieht den Abschied von der Ära Piëch mit großer Konsequenz. Nach dem durch eigene Ungeschicklichkeit maßlos eskalierten Dieselskandal hat sich das Unternehmen zunächst dekapitiert; Schwergewichten wie Heinz-Jakob Neußer oder Ulrich Hackenberg, denen die ingenieurstechnischen Glanzleistungen der vergangenen zwei Jahrzehnte gelungen waren, wurde die Tür gewiesen.

Vom Anspruch, Premium-Autos zu bauen, hat man sich in Wolfsburg inzwischen verabschiedet. “Top of volume” will man nunmehr sein, also sich dort positionieren, wo Marken wie Opel oder Hyundai irgendwie auch zuhause sind. Man merkt es den Autos inzwischen an: So tritt der T-Roc zwar bunt und gefällig auf, doch seine Materialqualität wäre bei einer Piëchschen Abnahmefahrt kaum durchgegangen. Immerhin zehren die Autos noch von den leistungsfähigen Fahrzeugarchitekturen, die einst unter Hackenberg entwickelt wurden.

Ferdinand Piech

Vor wenigen Tagen hat VW-Chef Matthias Müller in einem Interview mit dem “Handelsblatt” weitere Pflöcke eingeschlagen. Und damit illustriert, dass die Emanzipation vom autobegeisterten Geschwindigkeitsfanatiker Piëch offensichtlich noch nicht abgeschlossen ist. Denn was Müller verkündet, wäre noch vor wenigen Jahren in Wolfsburg undenkbar gewesen.

Zunächst bekommt der Dieselmotor, den VW bereits so gründlich diskreditiert hat, eine weitere Breitseite ab. Müller kritisiert “Subventionen” für Dieselmodelle und verlangt im gleichen Atemzug “Anreize” für Elektroautos, was zwar das gleiche wäre, aber schon einmal viel besser klingt.

VW-Logo

Dass der heftig besteuerte Diesel “subventioniert” wird, ist natürlich ein Märchen; Faktum ist indessen, dass die von Müller originellerweise als “umweltschonend” bezeichneten Elektroautos schon heute massiv gefördert und bevorzugt werden. Dass kaum ein Kunde zugreift, liegt nicht nur an der fehlenden Lade-Infrastruktur, sondern auch an den weit unterlegenen Produkteigenschaften der angeblichen Ökomobile. Und vielleicht auch an ihrer traurigen Umweltbilanz, die sich so langsam herumzusprechen beginnt. 4000 Euro Absatzprämie, Steuerbefreiung und Sonderparkplätze reichen offenbar nicht: Wieviel Dirigismus darf es noch sein?

Um es klar zu formulieren: Nicht die Kunden haben die E-Mobilität bestellt, sondern die Industrie hat sich beflissen den fragwürdigen Visionen der Politik unterworfen. Und das soll der Kunde jetzt ausbaden?

Die Tempodiskussion eröffnet

Dazu passt, dass Müller sich aus mehr oder weniger heiterem Himmel “vorstellen” kann, “dass die Geschwindigkeitsbegrenzung auch in Deutschland irgendwann kommt.” Und lapidar hinzufügt: “Wobei das de facto vielfach ja schon der Fall ist.” Gut, dass sich das noch nicht überall herumgesprochen hat. In den USA verkauft VW den Golf GTI jedenfalls ungerührt mit einem “Autobahn-Paket”. Und dass der VW-Konzern plötzlich eine Tempolimit-Debatte eröffnet, und zwar im Sinne der Bremser und Autogegner, sollte er auch einmal seinen Audi- und Porsche-Kunden erklären.

Audi R8

Noch unlängst konnte man sich darauf verlassen, dass die Automobilindustrie gegen einen übergriffigen Staat, gegen überzogene Regulierungen und für freie Fahrt die Stimme erhebt – nicht nur aus geschäftlichem Interesse, sondern aus bürgerlicher Verantwortung heraus. Es ist ein neues Phänomen, dass Konzerne ihre Aufgabe darin sehen, der Politik weitreichende Vorschriften und Verbote zu Lasten der eigenen Kundschaft zu empfehlen.

Beobachter vermuten, dass Müllers Aussagen vor allem vom Dieselskandal ablenken sollen. Es kommt jedoch ein weiterer Aspekt hinzu: Er muss die Milliardeninvestitionen des VW-Konzerns in die E-Mobilität rechtfertigen und eines Tages “rekuperieren”. Und da kommt die zunehmend nüchtern-kritische Bestandsaufnahme von Kosten, Nutzen und Umweltbilanz äußerst ungelegen. Wenn die Elektromobilität scheitert, steht die strategische Neuausrichtung auf dem Spiel.

Mit seinen Einlassungen zur Elektromobilität und zum Dieselantrieb, aber auch mit seinen Kommentierungen der politischen Landschaft, erinnert der VW-Chef manchen Beobachter an einen früheren VW-Manager, der sich einst als Umweltschützer und Kronzeuge der Autokritiker profilierte: Die Rede ist von Daniel Goeudevert, Anfang der 90er-Jahre als potentieller Konzernchef hoch gehandelt. Seine Vorstellungen waren denen Piëchs diametral entgegengesetzt; 1993 musste der Paradiesvogel den Konzern verlassen. Es mag den Franzosen mit Genugtuung erfüllen, dass einige seiner Thesen nun zu später Blüte gelangen.


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