Die S-Klasse von Mercedes-Benz ist der Inbegriff der Luxuslimousine – und das trotz einer Inflation von Konkurrenzmodellen. Denn die Erfahrung der Stuttgarter reicht weiter zurück. Und damit das niemand vergisst, hat Mercedes-Benz jüngst eine ganze Phalanx von historischen Modellen aufgefahren, die sukzessive auf sehr anspruchsvollen Strecken zu bewegen waren.

Nämlich auf den früheren Versuchsstrecken im Hohenlohischen, nahe dem Waldschloss Friedrichsruhe. Dort hat Mercedes-Benz bis in die 80er-Jahre hinein die abwechslungsreichen, wenig frequentierten öffentlichen Straßen genutzt, um seine Pkw-Modelle aufwendigen Überprüfungen zu unterziehen. Mit jeder Modellgeneration – ab dem “Ponton” aus den 50er-Jahren – wird der Fortschritt sichtbar: Wir sind sie alle gefahren. GTspirit dokumentiert die Entwicklung in drei Etappen.

W 180 – Mercedes-Benz 220 von 1955

Während sich die unmittelbar nach dem Krieg gebauten Modelle noch stark an der Vorkriegsästhetik orientierten, zeigt die 1953 vorgestellte “Ponton”-Baureihe erstmals die noch heute aktuellen Proportionen einer Drei-Box-Karosserie mit integrierten Kotflügeln. Ein Jahr nach der Vierzylinder-Limousine 180 kommt im März 1954 das Sechszylinder-Modell 220 heraus, aus dem 1956 der 220 S wird: Die erste S-Klasse. 1958 kommt zusätzlich der 220 SE mit 115 PS. Wir sind jedoch das Einstiegsmodell gefahren: Mit 472 cm Länge, 176 cm Breite und 156 cm Höhe wirkt die 85 PS starke 2,2-Liter-Limousine noch heute stattlich, wenngleich keineswegs überdimensioniert.

Am Steuer gefällt das von uns gefahrene Exemplar mit weichem Motorlauf, die Beschleunigung ist jedoch gerade mal ausreichend; der Spurt von 0 auf 100 km/h dauert 19 Sekunden, die Spitze liegt bei 150 km/h. Das Fahrwerk mahnt mit ausgeprägten Wankbewegungen dazu, den Fuß frühzeitig vom Gas zu nehmen. Vorne rutscht man auf einer durchgehenden Sitzbank mit relativ wenig Seitenhalt umher, zumal Sicherheitsgurte fehlen. Mitte der 50er haben sich noch nicht alle Standards in der Branche eingeschleift. So werden die Blinker mit einer Drehung des Hupenrings betätigt: Eine elegante Lösung, auf die man aber erst einmal kommen muss. Für die Kraftübertragung sorgt eine Viergang-Lenkradschaltung, die sich leicht und exakt betätigen lässt.

W 111 – Mercedes-Benz 220 SE von 1963

Im August 1959 präsentiert Daimler-Benz die Modelle 220, 220 S und 220 SE – die sogenannte “Heckflosse”, amerikanisiert im Stil und ” von bestechender Eleganz”, wie ein zeitgenössischer Journalist formulierte. 1961 folgt das chrombeladene Topmodell 300 SE; gleichzeitig lancieren die Stuttgarter die eng verwandten Vierzylinder-Modelle mit kürzerem Vorderwagen. Im Vergleich zum “Ponton” ist die “Heckflosse” deutlich gewachsen; die S-Klasse ist jetzt 488 cm lang und 180 cm breit, dafür aber nur noch 149 cm hoch. Den 300 SE (W 112), der übrigens bis zu 170 PS leistet, gibt es auch als Langversion; sie kratzt mit 498 cm an der Fünfmeter-Marke.

Während besagter 300 SE mit entsprechender Hinterachse glatte 200 km/h erreicht, lässt es der von uns gefahrene, 120 PS starke und mit einer Viergang-Automatik ausgerüstete 220 SE mit 172 km/h bewenden; der Standardsprint auf 100 km/h dauert hier 14 Sekunden. Dass man sich mit 120 PS durchaus angemessen motorisiert fühlt, liegt an dem aus heutiger Sicht ungewöhnlich niedrigen Leergewicht; der 220 SE Automatic bringt gerade einmal 1420 Kilogramm auf die Waage, das Einstiegsmodell 220 mit Handschaltung wiegt nochmals 100 Kilogramm weniger. Mit einem 2,3-Liter-Motor läuft die “Heckflosse” noch bis 1968 vom Band, Coupé und Cabriolet werden mit ihrer zeitlos schönen, weniger modischen Form sogar bi 1971 weitergebaut. Wir finden: So ein Auto kann man eigentlich auch heute noch fahren.

W 109 – 300 SEL 6.3 von 1969

1965 mutet Daimler-Benz den Traditionalisten eine sachlich gezeichnete S-Klasse zu: Der W 108 ist 490 cm lang, 181 cm breit und nur noch 144 cm hoch; die Langversionen mit Luftfederung (W 109) sind 10 cm länger. Während die Frontpartie mit vertikalen Scheinwerfern und aufrechtem Kühlergrill weiterhin imposant wirkt, bestechen Seitenpartie und Heck mit klaren Linien und kühler Eleganz. Einstiegsmodell ist zunächst der 250 S mit 130 PS; darüber rangieren 250 SE mit 150 PS und 300 SE/SEL mit 170 PS. 1968 werden sie durch 280 S (140 PS), 280 SEL (160 PS) und einen neuen 300 SEL mit nunmehr ebenfalls nur 2,8 Litern Hubraum und weiterhin 170 PS ersetzt. Hinzu kommt das Spitzenmodell 300 SEL 6.3 mit dem 250 PS starken 6,3-Liter-V8 (M 100) aus der Staats- und Nobelkarosse Mercedes-Benz 600. Ab 1970 folgen in der Limousine die im Coupé bereits eingeführten 3,5-Liter-V8-Motoren mit glatten 200 PS; die Modellbezeichnung lautet 280 SE/SEL 3.5 bzw. (mit Luftfederung) 300 SEL 3.5. In den USA gab es auch einen 4,5-Liter-V8, um die Leistungseinbußen durch die Abgasreinigung zu kompensieren.

Der von uns bewegte 300 SEL 6.3 von 1969 zeichnet sich durch enormes Durchzugsvermögen und geradezu sportwagenmäßigen Antritt aus; es gab seinerzeit kaum leistungsfähigere Autos und wohl keines, das bei derartigen Fahrleistungen so standfest war. Der Spurt von 0 auf 100 km/h dauerte (je nach Quelle) weniger als 7 Sekunden, die Spitze wurde mit 221 km/h ermittelt. Im Interieur wirkt der 6.3 aus heutiger Sicht bei weitem nicht mehr so antiquiert wie die “Heckflosse”, Fahrwerk und Lenkung haben einen enormen Sprung vollzogen. Das Spitzenmodell kommt übrigens ab Werk mit den übereinanderliegenden Doppelscheinwerfern der US-Variante anstatt komplett verglaster Beleuchtungseinheiten. Mit 6500 gebauten Einheiten wird das Spitzenmodell zum unerwarteten Erfolg. In der Folge wurden auch die profaneren Modelle häufig von ihren Besitzern mit den Doppelscheinwerfern ausgerüstet, was das enorm gesteigerte Überholprestige des 6.3 sukzessive wieder egalisiert. Ein Coupé gibt es von der Baureihe 108/109 nicht mehr, die Vorgängermodelle laufen weiter.


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QuelleDaimler
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