Er hat einige der bekanntesten Marken der Welt mitgeprägt, war an der Definition einer Luxusmarke beteiligt, die kurz vor der Einführung beerdigt wurde und arbeitete mit Titanen der Branche zusammen: Der Designer Peter Birtwhistle erzählt die Geschichte seines Lebens in einem frisch erschienenen Buch mit dem unprätentiösen Titel: “An English Car Designer Abroad”. Zu deutsch: Ein englischer Autodesigner im Ausland.
Während Patrick Le Quéments jüngst erschienenes Buch “Design Between the Lines” eine intellektuell-gehobene Warte einnimmt und auch zahlreiche Aspekte jenseits der Automobilwelt diskutiert, bietet Birtwhistles opus magnum einen ausgesprochen persönlichen Einblick in die Welt des Automobildesigns des letzten halben Jahrhunderts.
Nach seinem Abschluß am Royal College of Art im Jahr 1973 begann Birtwhistle seine berufliche Laufbahn bei Vauxhall in Luton und wurde damit Teil von Wayne Cherrys zunehmend verzweifelten Kampf um die ästhetische Identität der Marke. Birtwhistle war dort für die Modelle Chevette 2300 HS und HSR zuständig, für den Rallyesport entwickelte Derivate des Kadett-C-Schwestermodells.
Zudem arbeitete er ein achtzylindriges Derivat der gehobenen Limousine Ventora aus. Doch bereits dieses Auto kam nicht mehr auf den Markt. Vauxhall war zunehmend gezwungen, minimal veränderte Opel-Designs aus Rüsselsheim zu übernehmen. Düstere Aussichten, die den Briten veranlaßten, 1977 auf Vermittlung seines Freundes Martin Smith zu Audi zu wechseln.
Er kam zu einer Zeit in Ingolstadt an, als Ferdinand Piëch seine aggressive Strategie der radikalen Höherpositionierung ausarbeitete. Der Brite arbeitete am legendären Quattro und gestaltete den Sport Quattro fast im Alleingang; bei diesem Modell ging es darum, ein sehr anspruchsvolles Package zu maskieren. Er war an der Konzeption des Audi V8 (D1) und der zweiten Generation des Audi Coupé beteiligt, bevor er 1983 in die Designabteilung von Porsche wechselte.
Zu Porsche, dann zu Mazda
Doch anstatt den nächsten 911 zu entwerfen, wurde Birtwhistle in Weissach im Interieur-Design eingesetzt und war dort für das 911 basierende Cockpit des 959 zuständig. Später war er mit der Umwandlung eines ursprünglich für Seat entwickelten Projekts in einen potentiellen Einstiegs-Porsche befaßt. Aber jener 984, der unter dem schwierigen Packaging seines versenkbaren Hardtops litt, erblickte nie das Licht der Öffentlichkeit.
Birtwhistle und eine ganze Gruppe von Kollegen, darunter “Ginger” Ostle und Roland Sternmann, verließen Porsche 1988 in kurzem Abstand und nahmen das Angebot von Mazda an, das bald schon legendäre Designstudio in Oberursel bei Frankfurt aufzubauen.
Von Anfang an wurde die Mannschaft mit der Arbeit an der geplanten Luxusmarke Amati betraut, mit der Mazda die anderen japanischen Premium-Marken (Acura, Lexus und Infiniti) sogar übertreffen sollte. Das von Birtwhistle entworfene Flaggschiff Amati 1000 sollte von einem W-12-Motor angetrieben werden. Doch während der asiatischen Wirtschaftskrise wurde die Luxuslimousine gestoppt und das gesamte Amati-Projekt begraben. Der Amati 300 überlebte als Xedos 6 bzw. Eunos 500, während der Amati 500 je nach Markt als Xedos 9, Eunos 800 bzw. Mazda Millenia figurierte.
Als Ford im Jahr 1996 faktisch die Kontrolle über Mazda übernahm, änderte sich die Kultur schlagartig; die amerikanische Besessenheit mit “Car Clinics”, den berüchtigten Kundenbefragungen, trat an die Stelle von Intuition und Genie. Das war nicht nur von Nachteil, denn mit den neueingezogenen Strukturen wurde es einfacher, die Markenidentität präzise herauszuarbeiten.
Feindseligkeiten in Detroit
Dafür tauchten andere Barrieren auf: Birtwhistle berichtet über zahlreiche Hindernisse und die teils geradezu feindselige Haltung der in der Branche als toxisch verrufenen Dearborner Designabteilung. Er erinnert sich an “Ingenieure wie aus Spritzguß” und die amerikanische Obsession mit italienischen Designern.
Zu Birtwhistles Erleichterung wurde ein Pininfarinas-Vorschlag für den zukünftigen Mazda 3 bei einer internen Präsentation im Frühjahr 2001 abgeschossen – dies trotz der Begeisterung der US-Führungskräfte für ein mögliches Co-Branding. Wäre ein Mazda 3 von Pininfarina das Gegenstück zum Cadillac Allanté oder Hyundai Matrix geworden? Auch diese Modelle wurden durch den Pininfarina-Schriftzug geziert. Markenchef Mark Fields entschied indessen richtig, nämlich zugunsten des hauseigenen Entwurfs.
Birtwhistle sah die Designsprache “Nagare” kommen und gehen und erzählt die Geschichte des vielgelobten Slogans “Zoom-Zoom”, der urplötzlich in den Rundschreiben des damaligen Ford-CEO Jac Nasser auftauchte. Bis 2014 arbeitete der Brite für Mazda – und zog sich schließlich auf dem Höhepunkt seiner Karriere zurück.
Das Buch steckt voller überraschender Episoden: Wußten Sie, daß der Panther Six in der Designabteilung von Vauxhall das Licht erblickte – oder daß Martin Smiths unterlegener Vorschlag für den Auto 100 C3 im Jahr 1981 zum “Auto 2000” avancierte? Und Birtwhistle weiß auch zu berichten, daß Fahrer eines Lexus LS400 im Deutschland der frühen 90er-Jahre ausgesprochen feindselig betrachtet wurden.
Birtwhistles sehr persönlicher Bericht bringt dem Kenner der Branche eine Fülle von Erinnerungen zurück; der Index ist ein “Who is Who” der Designwelt der letzten Jahrzehnte. Eine gute Investition für Fans.
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